13.06.2024 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Laut dem Lagebild umfasst Häusliche Gewalt zunächst „alle Formen körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt und umfasst familiäre sowie partnerschaftliche Gewalt“. Konkret werden diese Formen der Gewalt zu Häuslicher Gewalt, wenn „die Gewalt zwischen Personen stattfindet, die in einer familiären oder partnerschaftlichen Beziehung zusammenwohnen“. Doch auch unabhängig des Wohnorts liegt ein Fall Häuslicher Gewalt vor, wenn die Gewalttat „innerhalb der Familie oder in aktuellen oder ehemaligen Partnerschaften geschieht“.
Daraus ergeben sich zwei Ausprägungen der Häuslichen Gewalt:
Die Daten, auf denen das Lagebild basiert, stammen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik. Diese erfasst jedoch ausschließlich das Hellfeld, das heißt, die Straftaten, die der Polizei durch Anzeige oder eigene Ermittlungen bekannt werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass das Dunkelfeld, also Straftaten, die der Polizei nicht bekannt werden, recht groß ist. Schließlich geschieht Häusliche Gewalt per Definition häufig „hinter verschlossenen Türen“ und Opfer schämen oder trauen sich zuweilen noch, die Vorfälle zu melden oder anzuzeigen.
Die Anzahl der Opfer Häuslicher Gewalt lag 2023 bei 256.276. Im Vergleich zum Vorjahr ist sie somit um 6,5 %, im Fünfjahresvergleich sogar um 19,5 % gestiegen.
Mit 70,5 % werden Frauen deutlich häufiger Opfer Häuslicher Gewalt als Männer (29,5 %). Besonders stark sind Frauen zwischen 30 und 40 Jahren von häuslicher Gewalt betroffen. Männer werden in der Altersklasse unter 21 Jahren am häufigsten zu Opfern Häuslicher Gewalt, insgesamt sind sie jedoch deutlich weniger betroffen. Hingegen zeigten Männer sich in der Altersklasse 30 bis 40 mit Abstand am häufigsten tatverdächtig. Auch der Anteil der tatverdächtigen Frauen ist in dieser Altersklasse am höchsten, jedoch insgesamt niedriger. Das zeigt sich auch mit Blick auf die Gesamtzahl der Tatverdächtigen: Insgesamt waren 208.810 Personen tatverdächtig, davon 75,6 % (157.932) männlich und 24,4 % (50.878) weiblich. Etwas mehr als die Hälfte der Opfer lebt mit der tatverdächtigen Person in einem Haushalt.
Die häufigste Form der Häuslichen Gewalt ist die vorsätzliche einfache Körperverletzung mit 59,1 %. Bedrohung, Stalking oder Nötigung belegen den negativen zweiten Platz mit 24,6 % und gefährliche Körperverletzung landet mit 11,4 % auf dem dritten Platz.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus zeigte sich bestürzt über die Ergebnisse des Lageberichts: „Die erneut deutlich gestiegenen Zahlen zur Häuslichen Gewalt zeigen das erschreckende Ausmaß einer traurigen Realität. […] Das Ziel der Bundesregierung ist, alle Menschen, vor allem Frauen, wirksam vor Gewalt zu schützen. Die Herausforderung ist groß, insbesondere, weil so viel in den eigenen vier Wänden und unter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert. Wir brauchen dringend ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot bestehend aus sicheren Zufluchtsorten und kompetenter Beratung.“
Laut der Bundesweiten Frauenhaus-Statistik 2022 gibt es derzeit 400 Frauenhäuser in Deutschland. Trotzdem müssen die Einrichtungen täglich Schutzsuchende aufgrund fehlender Plätze abweisen. Das betrifft nicht nur Frauen, sondern auch Kinder, die z. B. mit ihrer Mutter Schutz im Frauenhaus suchen.
Deutschland ist durch die Istanbul-Konvention dazu verpflichtet, genügend Plätze vorzuhalten. Trotzdem fehlen laut der Statistik und mit Bezug auf die Empfehlungen des Europarats über 14.000 Plätze bundesweit.
Gleichzeitig fehlen auch Zufluchtsorte für Männer. Stand 2022 gibt es bundesweit neun Einrichtungen für schutzsuchende Männer. Nicht nur die Statistik zeigt, dass deutlich mehr gebraucht wird – gerade bei Häuslicher Gewalt gegen Männer wird eine hohe Dunkelziffer vermutet.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachen (KFN) führte 2023 die Studie „Gewalt gegen Männer in Partnerschaften – von der Scham zur Hilfe“ durch. Sie befragten rund 12.000 Männer im Alter von 18 bis 69 Jahren zu Opfer- und Täterschaft, laut der Forschenden nahmen rund 10 % der Befragten auswertbar teil. 35 % der Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten Partnerschaftsgewalt erlebt zu haben. Ausgeweitet auf die Lebensdauer waren sogar 54,1 % betroffen. Rund ein Drittel der Befragten gab an, bereits sowohl Opfer als auch Täter gewesen zu sein.
Ein direkter Vergleich mit dem aktuellen Lagebild ist nicht möglich. Schließlich behandelt die Studie des KFN nur die Unterform der Häuslichen Gewalt, Partnerschaftsgewalt, nicht aber Gewalt in der Familie. Außerdem widmet sich das Lagebild dem Hellfeld, während die Studie des KFN versucht, das Dunkelfeld zu erschließen. Letzteres kann übergreifend im Bereich der Häuslichen Gewalt, aber auch insbesondere bei Gewalt gegen Männer, als raumeinnehmend betrachtet werden.
Die Forschenden stellten fest, dass Männer mitunter große Schwierigkeiten zeigten, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. „Dies lag zum einen an einem fehlenden Angebot für gewaltbetroffene Männer, aber auch an einer fehlenden Opfererkenntnis. Viele Männer scheinen ihre Gewalterfahrungen als nicht gravierend genug zu beurteilen, um diese mit Dritten zu thematisieren beziehungsweise überhaupt als solche wahrzunehmen,“ resümierten sie im Fazit. Die gesellschaftliche Debatte, die männlichen Opfern von Partnerschaftsgewalt, bisher wenig Raum gebe, könne Teil des Ursprungs dieser fehlenden Opferkenntnis sein.
Frauen, Männer und Kinder sind von Häuslicher Gewalt betroffen. Bis heute wird sie tabuisiert, sodass Betroffene Schwierigkeiten und Angst haben, sich um Hilfe zu bemühen. Wenn ihnen diese Hilfe aufgrund fehlender Kapazitäten nicht bereitgestellt werden kann, ist das ein herber Rückschlag, der Hilflosigkeit verstärkt. Die Bundesregierung muss sich daher dringend darum bemühen, mehr Schutzräume zu schaffen und gleichzeitig für Aufklärung zu sorgen. Das Bundeslagebild ist ein wichtiger Indikator und macht auf die Dringlichkeit des Themas aufmerksam, obgleich es nur das Hellfeld erfasst.
Seit Oktober 2023 fördert das Bundesministerium des Innern und für Heimat die Entwicklung der Tarn-App des Vereins „Gewaltfrei in die Zukunft“. Diese soll versteckt auf dem Handy laufen und Informationen zu Hilfs- und Beratungsangeboten bündeln.
Gewaltbetroffene Frauen
Gewaltbetroffene Männer
Gewaltbetroffene Kinder und Jugendliche
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