31.08.2023 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Am 8. Dezember 1864 wird Camille Claudel in Fère-en-Tradenois, in der Champagne geboren. Ihre Eltern haben vier Kinder, doch der älteste Sohn verstirbt früh. Somit ist Camille die Älteste. Ihre Schwester Louise schlägt den klassischen Weg der Mutter und Hausfrau ein, während dem jüngsten Sohn Paul eine herausragende Karriere als Dichter, Schriftsteller und französischer Diplomat bevorsteht.
Die Familie Claudel ist zwar nicht wohlhabend, gehörte aber zum Bürgertum. Nichtsdestotrotz ist Camilles Kindheit alles andere als glücklich: In späteren Aufzeichnungen vergleicht ihr Bruder die Stimmung im Elternhaus mit dem stärksten Moment eines Sturms, ein Alltag geprägt von Spannung und Streit. Es fehlt an Liebe und Wärme.
Der Vater Louis-Prosper ist streng, doch gleichzeitig erstaunlich liberal für die damalige Zeit. Schließlich unterstützt er nicht nur den besonderen Berufswunsch seines Sohnes, sondern auch den seiner Tochter. Die Mutter Louise hingegen hat kein Verständnis für das künstlerische Schaffen ihrer Tochter, hat gleichzeitig jedoch nicht den Einfluss, sich gegen Camilles Ausbildung und Werdegang zu stellen. Stattdessen bevorzugt sie die jüngere Tochter Louise.
Dafür stehen sich Camille und ihr Bruder sehr nah. Camille ist schön und begabt, wie zahlreiche Zeitzeugen immer wieder unterstreichen. Doch sie ist auch energisch und temperamentvoll, nicht zuletzt auf hochmütige Weise überzeugt von ihrem Talent. Und sie hat Recht: Bereits im Alter von 15 Jahren formt Camille die ersten Büsten. Alfred Boucher, selbst Bildhauer, ist von ihrem Talent begeistert und unterrichtet Camille.
Im April 1881 zieht sie mit ihrer Familie nach Paris. Dort besucht sie die Académie Colarossi, eine Pariser Kunstschule, heute das Atelier de la Grande Chaumière. Bald mietet sie mit drei befreundeten Künstlerinnen ein eigenes Atelier. Als ihr Lehrer Boucher eine längere Italienreise antritt, bittet er Auguste Rodin, dessen bekanntestes Werk später Der Denker sein wird, darum, ihn im Atelier zu vertreten. So treffen Rodin und Claudel zum ersten Mal aufeinander.
Wann genau dieses erste Aufeinandertreffen stattfand, ist nicht klar, doch es legt den Grundstein für den langen gemeinsamen Weg von Rodin und Claudel. Unumstritten ist, dass Claudel Rodins Schülerin wird, schließlich seine Kollegin. Bei wichtigen Projekten darf sie die filigranen und aufwendigen Hände und Füße der Statuen formen. Experten identifizieren heute zahlreiche Teile von Claudels Arbeit in Rodins Werken.
Die Liaison der beiden bleibt zunächst geheim. Auch Rodins langjährige Partnerin, Rose Beuret, weiß nichts davon. Die Liebe der beiden Künstler ist stürmisch, die Beziehung kompliziert und unstet, doch ihre Kunst wird dadurch nur befeuert.
Während sich Rodins Stil verändert, zeigt sich jetzt, dass Claudels Stil und Können bereits ausgereift sind. Mit 20 hat sie ihre Lehrjahre eigentlich schon abgeschlossen. Ihre Büsten sind ein Beispiel erstklassiger Bildhauerkunst. Sie schafft beeindruckende Skulpturen – Bewegungen und Emotionen fängt sie elegant und wirkungsvoll ein.
Rodins Ruhm wächst,1898 stellt er gemeinsam mit Monet aus. Im gleichen Jahr nimmt er an der Weltausstellung teil. Er erhält wichtige Aufträge und mit seinem Ansehen wächst auch das von Camille Claudel.
Doch Camille gilt stets nur als Mätresse des großen Künstlers. In den Augen der Öffentlichkeit verblasst die herausragende Künstlerin im Schatten Rodins. Dabei arbeitet sie an vielen seiner Werke mit, inspiriert seine Kunst. Trotz ihres Talents gerät sie immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten. Auch die Kunstwelt ist stark von Männern dominiert und Claudel muss trotz ihres Talents um Anerkennung kämpfen.
Historiker vermuten, dass Rodins Liebe zu Camille echt war. Er tut viel für sie – nimmt sie mit in gehobene Kreise, versendet Empfehlungsschreiben und stellt sie wichtigen Kunstkritikern vor. Heiraten will Rodin die junge Künstlerin jedoch nicht, vielleicht weil er die Spannungen zwischen sich und ihr zu deutlich spürt. Für Camille Claudel bedeutete das außer einer enttäuschten Hoffnung auch, dass sie einer enttäuschten Gesellschaft und Familie gegenüberstehen muss. Sie ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Unverheiratete und entspricht damit keineswegs den traditionellen Erwartungen ihrer Zeit.
Nach fast 15 Jahren trennen sich Rodin und Claudel. Sie sehen sich noch hin und wieder, doch ihre Liebesbeziehung hat ein Ende. Es folgt eine kurze Romanze mit dem damals unbekannten dafür heute umso bekannteren Claude Debussy, doch Claudel ist emotional nur wenig involviert.
Um 1993 zieht sich Claudel stark zurück. Sie ist viel in ihrer Wohnung, die sie auch als Atelier nutzt. Sie arbeitet verbissen und isoliert. Ihr Plan ist es, ein ganz eigenes Werk zu erschaffen. Doch der Beruf der Bildhauerin ist teuer. Nur durch Großaufträge und Finanzierungen ist er zu bezahlen. Claudel erhält diese trotz ihres Talents nie. Sie macht Schulden und muss sich immer wieder Geld von Bekannten leihen. Auch ihr Vater und Bruder unterstützen sie immer wieder.
Zwar bleibt die breite Öffentlichkeit zunächst blind für ihre Kunst, die Künstler ihrer Zeit nehmen sie aber durchaus wahr. Claudels Ansehen wächst, Sammler interessieren sich für ihre Werke, Kritiker kommentieren und besprechen diese. Doch sie kann nie aus dem Schatten Rodins treten.
Claudel geht es zusehends schlechter. Sie ist aufgedunsen und sieht deutlich älter aus als sie ist. Schleichend nistet sich Verfolgungswahn in ihrem Kopf ein. Das Subjekt ihrer Angst ist der früher verehrte und geliebte Rodin. In ihrem Wahn glaubt sie, dass er ihr Werk klauen und vernichten will. Freunde, Bekannte, Menschen, mit denen sie arbeitete – alle sind an dem Komplott beteiligt. Zwar sind das die Gedanken einer psychisch erkrankten Person, jedoch schenkte Claudel Rodin in ihrer gemeinsamen Zeit tatsächlich einen Teil ihres Könnens, indem sie an Werken mitarbeitete, die später allein ihm zugeschrieben wurden.
Bei ihrer Familie findet sie in dieser schweren Zeit keinen emotionalen Rückhalt. Ihr Vater schickt ihr heimlich Geld, damit sie über die Runden kommt. Ihr einziger Vertrauter, ihr Bruder Paul, ist für sie nicht erreichbar, oft auf Reisen und nur selten in Europa.
Allein mit ihren wahnsinnigen Gedanken, schottet sie sich vollends ab, hält die Fensterläden geschlossen, siecht dahin. Kurz nach dem Tod des Vaters 1913, lässt Paul seine Schwester in eine Nervenheilanstalt einweisen. 1914 wird sie in eine Anstalt in der Nähe von Avignon verlegt. Immer wieder schreibt Claudel Verwandten und Freunden. Sie hofft, der Zwangsverwahrung zu entkommen, doch sie wird die Anstalt nicht mehr verlassen. Trotzdem wird sie nie aggressiv, stattdessen zieht sie sich immer stärker in sich selbst zurück. Sie erhält nur selten Besuch, wird nie wieder künstlerisch aktiv. Wie sie ihre Zeit verbringt, ist ungeklärt. Am 19. Oktober 1943 stirbt Camille Claudel, schon lange ein Schatten ihrer selbst.
Es wäre ein Fauxpas, von Claudel als tragische und zu ihrer Zeit ungesehene Künstlerin zu sprechen, und gleichzeitig ihre Kunst nicht zu erwähnen. Es ist unbestritten, dass Rodins und Claudels Werke eine gewisse Ähnlichkeit zeigen. Ursächlich dafür ist natürlich auch die langjährige Zusammenarbeit der beiden. Aber schon bevor Claudel Rodin kennenlernte, soll Paul Dubois sie gefragt haben, ob sie Unterricht bei Rodin gehabt habe.
Claudels künstlerischer Stil zeichnete sich durch leidenschaftlichen Realismus und detailreiche Darstellungen aus. Sie modellierte dynamische Situationen, in denen die Emotionen und Bewegungen der Dargestellten kunstvoll eingefangen sind. Der Walzer zeigt die Leidenschaft zweier Liebenden im Tanz verschlungen. Die Schwätzerinnen wecken den Wunsch im Beobachter, zu wissen, worum sich das Getuschel dreht. Leider sind besonders nach ihrer Einweisung Kunstwerke verloren oder kaputt gegangen.
In Nogent-sur-Seine wird im Musée Camille Claudel ein Großteil der erhaltenen Werke ausgestellt. Einige haben ihren Platz jedoch auch im Musée Rodin, mitten in Paris, gefunden.
Dieser Artikel fußt hauptsächlich auf dem Buch „Camille Claudel“ von Reine-Marie Paris, das mit viel Gespür fürs Detail, aber auch für das Unklare in der Geschichte Claudels inklusive ihrer Krankengeschichte aufarbeitet. „Der Kuss“ von Anne Delbée hingegen verarbeitet das Leben der beeindruckenden Künstlerin in Romanform. Ähnlich aufgebaut sind verschiedene Filme, die sich mit Claudel oder Rodin als Protagonisten beschäftigen. Viel Spaß beim Eintauchen in die Bildhauerkunst und das durchwachsene Leben von Camille Claudel.
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