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Veranlagungsfehler (Kommentar von Udo Cremer)

23.04.2013  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Bei Fehlern in der Steuererklärung gibt sich das Finanzamt gern streng. Was aber, wenn die Finanzbeamten Daten falsch erfassen - und zwar zum Vorteil des Steuerpflichtigen? Dazu hat der Bundesfinanzhof in einem kürzlich veröffentlichten Urteil Stellung genommen.

  1. Wer eine fehlerfreie Steuererklärung abgegeben hat, begeht keine Steuerhinterziehung, wenn er in einem Folgejahr einen vom FA zu Unrecht bestandskräftig festgestellten Verlustvortrag geltend macht.
  2. Hat das FA die erforderlichen Informationen durch die Steuererklärung erhalten, scheidet die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus, weil der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, Fehler des FA richtig zu stellen.

Der Kläger betrieb in den Streitjahren 1999 bis 2001 als selbständiger Internist eine Facharztpraxis. Er gab zunächst keine Steuerklärungen für die Jahre 1999 und 2000 ab. Das FA schätzte deshalb die Besteuerungsgrundlagen und setzte jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheiden vom 23.7.2001 die Einkommensteuer für 1999 auf 305.540 DM und für 2000 auf 165.039 DM fest. Mit dem dagegen erhobenen Einspruch legte der Kläger für die beiden Jahre Einkommensteuererklärungen vor. Die Erklärung für 1999 wies Einkünfte des Klägers aus seiner freiberuflich ausgeübten ärztlichen Tätigkeit in Höhe von 1.054.011 DM aus. Aufgrund dieser Erklärung änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung für 1999 mit Bescheid vom 20.3.2002 und erfasste dabei die vom Kläger erklärten (positiven) Einkünfte irrtümlich als negative Einkünfte in Höhe von 1.047.588 DM. Dieser Eingabefehler führte unter Einbeziehung weiterer negativer Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau insgesamt zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 1.732.909 DM, so dass die Einkommensteuer für 1999 auf 0 DM festgesetzt wurde.

Die in der Folgezeit vorgenommenen Änderungen der Einkommensteuerveranlagung für 1999 führten im Ergebnis nicht zu einer höheren Festsetzung, aber durch Bescheid vom 26.11.2002 zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.1999 für den Kläger auf 1.234.592 DM. Aufgrund der Steuererklärung für 2000 setzte das FA die Einkommensteuer nach mehrmaligen Änderungen zuletzt mit Bescheid vom 29.8.2003 unter Ansatz eines Verlustvortrags hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit in Höhe von 365.669 DM auf 0 DM fest und stellte mit Bescheid vom selben Tag den verbleibenden Verlustvortrag hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 840.145 DM fest. Auf der Grundlage dieser Bescheide setzte der Kläger im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2001 in der Zeile 92 - Verlustabzug - ein Kreuz im Kästchen Stpfl./Ehemann, sodass die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.2001 für ihn bejaht wurde. Dementsprechend kreuzte er auf dem Mantelbogen neben der Einkommensteuererklärung auch die Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags an. Weiter war angegeben, dass die Steuerpflichtigen mit einer Einkommensteuererstattung rechneten. Auf der Rückseite der Anlage VA zur Einkommensteuererklärung 2001 waren in den Zeilen 16/17 das Bescheiddatum "08.04.2003" und in der Zeile 20 hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit ein Betrag in Höhe von "DM 841.730" eingetragen, mithin die Daten des bei der Fertigung der Steuererklärung vorliegenden Feststellungsbescheides vom 8.4.2003. Mit Bescheid vom 29.8.2003 wurde die Einkommensteuer für 2001 auf 0 EUR festgesetzt, da u.a. ein Verlustvortrag auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 488.162 DM angesetzt wurde.

Mit Bescheid vom selben Tag wurde der verbleibende Verlustvortrag zur Einkommensteuer zum 31.12.2001 hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 351.983 DM reduziert. Aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr wurden dem Kläger sämtliche Einkommensteuervorauszahlungen nebst Zinsen erstattet. Des Weiteren hatte er in den Folgejahren keine Vorauszahlungen zu leisten. Mit Bescheid vom 29.3.2004 ordnete das FA eine Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2001 hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuer an und erließ diese Anordnung mit Bescheid vom 7.4.2004 gegenüber dem neuen Verfahrensbevollmächtigten. Die Prüfung begann am 21.6.2004. Zuvor gab der Kläger am 3.5.2004 eine strafbefreiende Erklärung für die Jahre 2000 und 2001 ab. Die zu Unrecht nicht besteuerten Einnahmen gab er mit 494.614 EUR an und bezifferte die zu entrichtende Abgabe mit 25 % des Betrages (123.653 EUR). Zugleich teilte er mit, "dass ein Verlustvortrag aus 1999 in 2000 zu Unrecht in Anspruch genommen wurde und dieser weiterhin auch in 2001 in Anspruch genommen wurde, nachdem er zum 31.12.2000 irrtümlich festgestellt wurde". Die strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2000 nahm der Kläger mit Schreiben vom 17.5.2005 zurück. Die strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2001 lehnte das FA mit Bescheid vom 8.11.2005 mit der Begründung ab, mangels einer Straftat könne der Kläger keine strafbefreiende Erklärung abgeben. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 984 veröffentlichten Urteil ab.

Die Revision ist unbegründet (BFH-Urteil vom 4.12.2012, VIII R 50/10) und deshalb zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG das Vorliegen einer wirksamen strafbefreienden Erklärung des Klägers nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 StraBEG mit der Begründung verneint, der Kläger habe weder unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht noch die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Nach § 1 Abs. 1 StraBEG kommt die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung nur für Steuerpflichtige in Betracht, die gegenüber den Finanzbehörden unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben und dadurch Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Vermögensteuer, Gewerbesteuer, Erbschaftsteuer, Schenkungsteuer oder Abzugsteuern nach dem Einkommensteuergesetz verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt haben.

Diese Voraussetzungen hat das FG im Streitfall rechtsfehlerfrei verneint. Unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen hat der Kläger nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG nicht gemacht. So enthielt die für das Jahr 1999 abgegebene Einkommensteuererklärung den zutreffenden Ausweis der erzielten positiven Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit. Ihre Erfassung als negative Einkünfte in dem daraufhin ergangenen Einkommensteuerbescheid beruhte allein auf einem Eingabefehler der Bediensteten des FA. Auch die für die Folgejahre abgegebenen Einkommensteuererklärungen enthielten keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben. Insbesondere rechtfertigte es die Bestandskraft des Bescheides über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.1999, den festgestellten Verlustvortrag durch Ankreuzen in Zeile 92 des Mantelbogens der Einkommensteuererklärung in Anspruch zu nehmen und zu erklären, mit einer Erstattung zu rechnen. Der Kläger hat mit diesen Erklärungen das FA auch nicht "pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen" und damit den Tatbestand der Steuerhinterziehung begangen. Diese Vorschrift setzt voraus, dass der Steuerpflichtige im konkreten Fall verpflichtet ist, der Finanzbehörde bestimmte steuerlich erhebliche Tatsachen zur Kenntnis zu bringen. Steuerlich erhebliche Tatsache ist im Streitfall der Umstand, dass der Kläger in den Jahren 1999 und 2000 positive Einkünfte erzielt hat. Hinsichtlich dieser Tatsache fehlt es an einer Unkenntnis der Finanzbehörde, nachdem diese Einkünfte vom Kläger ordnungsgemäß erklärt worden waren.

Mit der Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuer-erklärung hat der Steuerpflichtige seine Erklärungspflichten erfüllt. Weicht die aufgrund der zutreffend erklärten Tatsachen durchgeführte Veranlagung des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten vom geltenden Recht ab, ergeben sich aus dem Verfahrensrecht keine weiteren Erklärungspflichten.

Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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