18.10.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ernst und Young Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H..
Der Zeitplan der Aufsichtsrechtsreform Solvency II bereitet europäischen Versicherern Probleme. 43 Prozent der Versicherungsunternehmen erwarten, nicht alle Anforderungen bis zum Jahr 2014 erfüllen zu können. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Vor allem die deutsche Assekuranz ist schlecht auf die neuen EU-Eigenkapitalregeln vorbereitet. 34 Prozent der deutschen Versicherer werden die Anforderungen von Solvency II nach eigener Einschätzung frühestens ab 2015 erfüllen können. Eigentlich soll das Aufsichtssystem ab 1. Januar 2014 umgesetzt werden. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat diskutiert, diesen Termin um ein Jahr nach hinten zu verschieben. Den deutschen Versicherern würde das entgegenkommen.
Für die Solvency II Benchmark Studie 2012 hat Ernst & Young mehr als 160 überwiegend große Versicherer aus 18 europäischen Ländern befragt.
Neben der deutschen ist die italienische Assekuranz besonders schlecht auf die Umsetzung von Solvency II vorbereitet: 17 Prozent der italienischen Versicherer werden die Anforderungen nach eigener Einschätzung erst 2015 erfüllen. Auch Spanien hinkt bei der Umsetzung dem europäischen Durchschnitt hinterher. Besonders gut vorbereitet sehen sich britische und niederländische Versicherer. In Großbritannien werden 14 Prozent der Unternehmen die Solvency-II-Anforderungen nach eigenen Angaben bereits in diesem Jahr erfüllen, so viele wie nirgends sonst. „Die angelsächsischen Länder sind weiter, weil sie schon früh ein ganzheitliches Risikokapitalmodell hatten“, sagt Jan Leiding, für die Studie verantwortlicher Partner bei Ernst & Young. „Für deutsche Versicherer war eine Vielzahl der Themenkomplexe von Solvency II dagegen neu.“
Deutschland kann den Rückstand nicht mehr aufholen. „Die deutsche Assekuranz wird den 1. Januar 2014 in der Breite nicht als Umsetzungsdatum halten können“, sagt Leiding. Das bedeute allerdings nicht, dass deutsche Versicherer schlechter aufgestellt seien als britische oder niederländische. „Sie verfolgen schlicht einen konservativeren Ansatz. Deutsche Versicherer müssen sich allerdings künftig stärker am Kapitalmarkt orientieren, wenn sie langfristig erfolgreich bleiben wollen. Das ist jetzt die große Herausforderung“, sagt Leiding.
Die größten Schwierigkeiten haben Versicherer mit der Umsetzung der dritten Säule von Solvency II. Sie regelt die Berichterstattungspflichten der Unternehmen an Aufsichtsbehörden und die Öffentlichkeit. 80 Prozent der Versicherer haben bei der Umsetzung von Säule 3 bislang kaum Fortschritte erzielt. Auch hier liegt Deutschland – gemeinsam mit Griechenland und Polen – nach eigener Einschätzung unter dem Durchschnitt der europäischen Länder. „Das hat die Branche durchaus mitverschuldet“, sagt Leiding. „Nach Veröffentlichung des ersten Richtlinienentwurfs hätten Versicherer damit beginnen können, sich auf Säule 3 vorzubereiten. Die meisten deutschen Versicherer haben aber lieber die Konkretisierung des Richtlinienentwurfs abgewartet.“ Immerhin: Bei der Umsetzung von Säule 1 und Säule 2, die Kapitalanforderungen und Risikomanagement regeln, ist die deutsche Assekuranz überdurchschnittlich weit. Lediglich das Own Risk and Solvency Assessment (ORSA) und die Überprüfung der Effizienz und Effektivität des Governance-Systems stellt die Branche noch vor Herausforderungen.
Lebensversicherer haben generell größere Probleme mit Solvency II als die meisten anderen Gesellschaften, unter anderem, weil ihre Garantieprodukte hohe Kapitalanforderungen auslösen. „Vor allem bei Lebensversicherern bringt die SCR-Berechnung mittels Standardformel ungünstige Ergebnisse“, sagt Ernst & Young-Experte Leiding.
Bei der Berechnung der Eigenkapitalsollgröße (SCR) setzt fast die Hälfte der Befragten auf ein internes Modell statt auf die Standardformel. Interne Modelle sind europaweit allerdings unterschiedlich weit verbreitet: In Großbritannien, Polen und Spanien arbeiten mehr als 60 Prozent der großen Versicherer daran, entsprechende Modelle zu entwickeln. In Deutschland, Griechenland und den Niederlanden hat sich mehr als die Hälfte der großen Gesellschaften dagegen entschieden.
Die meisten Versicherer, die ein internes Modell entwickeln, wollen dafür bereits von Beginn an die Genehmigung der Aufsichtsbehörden einholen. Diese dürfte allerdings noch etwas auf sich warten lassen. Viele Unternehmen können die Anforderungen an interne Modelle bislang nur unzureichend erfüllen. Vor allem Deutschland, Italien, Griechenland und Polen haben nach eigener Einschätzung Nachholbedarf. Britische, niederländische und spanische Versicherer haben dagegen die meisten Anforderungen bereits erfüllt.
Insgesamt dürften vor allem Dokumentation, Datenmanagement und Use-Test vielen Gesellschaften noch Arbeit bereiten. „Die Anforderungen an interne Modelle sind nicht von ungefähr sehr hoch. Schließlich können Versicherer daraus auch einen großen Nutzen ziehen“, sagt Leiding. Im Schnitt rechnen europäische Versicherer damit, dank ihres jeweiligen internen Modells zirka 16 Prozent weniger Risikokapital vorhalten zu müssen.
Die Optimierung der Kapitalstruktur ist ein zentrales Thema von Solvency II. 70 Prozent der europäischen Versicherer beschäftigt sich bereits damit, zeigt die Benchmark-Studie von Ernst & Young. Vor allem französische, niederländische und belgische Gesellschaften streben eine frühzeitige Kapitaloptimierung an. Deutsche Versicherer lassen sich dagegen noch Zeit: Viele von ihnen wollen mit der Kapitaloptimierung bis zum kommenden Jahr warten. „Wir sehen derzeit nur wenige Versicherer, die das Thema Kapitaloptimierung strukturiert angehen und jetzt beispielsweise ihre Konzern- oder ihre Portfoliostruktur überdenken“, sagt Leiding. „Dabei ist es essenziell, früh mit solchen Maßnahmen zu beginnen.“
Auch die Bedeutung der wertorientierten Steuerung hat durch die regulatorischen Anforderungen von Solvency II zugenommen. Ihre Umsetzung verläuft allerdings heterogen: Weniger als die Hälfte der Befragten setzt wertorientierte Unternehmensführungssysteme bereits dazu ein, Bestände und Neugeschäft operativ zu steuern. Dabei erwarten viele Versicherer allein aus einer wert- und risikoorientierten Unternehmenssteuerung einen Renditevorteil von zirka zwei Prozentpunkten.
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