29.10.2018 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.
Damit würde der „überragenden Bedeutung der Tarifautonomie für die Wirtschafts- und Sozialordnung“ Rechnung getragen, schreibt Prof. Dr. Martin Franzen, Rechtswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München, in einem neuen Gutachten. Zudem würden Arbeitnehmer spürbar entlastet und tarifgebundene Arbeitgeber hätten ein gutes Argument beim Werben um Fachkräfte, so der Professor für Arbeitsrecht.
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Nur wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe miteinander verhandeln, können sie einen Tarifvertrag abschließen, mit dem beide Seiten gut leben können. Entscheidend dafür ist, dass sie über eine starke Verhandlungsposition und eine breite Mitgliederbasis verfügen. Hier ist auch die Politik gefordert. Sie sollte die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband oder einer Gewerkschaft fördern. Das könnte zum Beispiel durch steuerliche Vorteile geschehen, erklärt Franzen in seinem Gutachten für das Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Vor allem auf der Arbeitnehmerseite sind nach Ansicht des Juraprofessors größere Anreize gerechtfertigt.
Hintergrund: Von einem Tarifvertrag profitieren in der Regel alle Beschäftigten eines tarifgebundenen Arbeitgebers – auch diejenigen, die nicht Mitglied in einer Gewerkschaft sind. Zwar sind Differenzierungsklauseln möglich, die dafür sorgen, dass einzelne Leistungen nur bestimmten Arbeitnehmern zugutekommen. Dem sind aber enge rechtliche Grenzen gesetzt. Zudem steht die Arbeitgeberseite solchen Klauseln meist skeptisch gegenüber. In der Praxis kommen Differenzierungsklauseln nur selten vor. Das bedeutet: Für die Arbeitnehmer macht es im Grunde keinen Unterschied, ob sie Mitglied einer Gewerkschaft sind oder nicht. „Als Anreizinstrument für den Beitritt von Arbeitnehmern in eine Gewerkschaft fällt der Tarifvertrag vollständig aus“, konstatiert Franzen.
Der Arbeitsrechtler schlägt vor, das Steuerrecht zu nutzen, um die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband attraktiver zu machen. Im Kern geht es bei seinem Vorschlag darum, einen Teil des tarifgebundenen Lohns bei Gewerkschaftsmitgliedern steuerfrei zu stellen. Der Freibetrag solle sich an dem Drei- bis Vierfachen des üblichen Gewerkschaftsbeitrags bei durchschnittlichen Einkommen orientieren – und damit etwa 1300 bis 1700 Euro pro Jahr betragen. Gewerkschaftsmitglieder, die bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber beschäftigt sind, würden damit „von nicht unerheblichen Steuervorteilen profitieren“. Auch die tarifgebundenen Arbeitgeber hätten etwas davon, so Franzen: Sie könnten damit werben, dass die bei ihnen beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder über ein höheres Nettoeinkommen verfügen als bei anderen Unternehmen. Insbesondere beim Werben um begehrte Fachkräfte dürfte das ein gutes Argument sein.
Der einzelne Arbeitnehmer könnte die Steuerbefreiung einfach im Rahmen seiner Steuererklärung geltend machen, zeigt der Rechtswissenschaftler. Er müsste dazu eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft vorlegen sowie die Entgeltabrechnungen, aus denen hervorgeht, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist und gegebenenfalls in welcher Höhe es sich um tarifgebundenes Arbeitsentgelt handelt. Dadurch wäre gewährleistet, dass der Arbeitgeber nichts über die Gewerkschaftsmitgliedschaft einzelner Arbeitnehmer erfährt.
„Die Steuerprivilegierung rechtfertigt sich aus der überragenden Bedeutung der Tarifautonomie für die Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung Deutschlands“, schreibt Franzen. Die hierdurch verursachten Steuerausfälle seien für den Staat verkraftbar. Der Berechnung des Experten zufolge würde der Fiskus jährlich 1,2 bis 1,6 Milliarden Euro weniger einnehmen. Auf der anderen Seite hätten dadurch gerade Arbeitnehmer mit mittlerem Einkommen einen „spürbaren Entlastungseffekt“.
Martin Franzen: Stärkung der Tarifautonomie durch Anreize zum Verbandsbeitritt (pdf), HSI-Schriftenreihe Band 27.
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