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Progressionsvorbehalt (Kommentar von Udo Cremer)

03.12.2013  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Unser Experte Udo Cremer erläutert die aktuelle Rechtsprechung zum Nebeneinander von Progressionsvorbehalt und Tarifermäßigung.

Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG und Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG sind mit der Folge nebeneinander anwendbar (sog. integrierte Steuerberechnung), dass sich ein negativer Progressionsvorbehalt im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG wegen des niedrigeren Steuersatzes notwendig steuermindernd auswirkt.

Der Kläger wurde für 2008 (Streitjahr) antragsgemäß getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung hatte er einen Betrag von 3.374 EUR als im Streitjahr an die Arbeitsverwaltung zurückgezahltes Arbeitslosengeld angegeben. Seine frühere Arbeitgeberin hatte in der Lohnsteuerbescheinigung als Dauer des Arbeitsverhältnisses den Zeitraum vom 1. bis zum 31.7. des Streitjahres sowie einen ermäßigt besteuerten Arbeitslohn von 260.000 EUR angegeben. Diese Lohnzahlung behandelte das FA als nach § 24 Nr. 1a, § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.d.F. des Streitjahres tarifbegünstigte Abfindungsleistung.

Mit geändertem Einkommensteuerbescheid vom Februar 2010 und später vom November 2010 ermittelte das FA Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 256.751 EUR, ein zu versteuerndes Einkommen (zvE) von 248.879 EUR und ein nach § 34 Abs. 1 EStG "verbleibendes zu versteuerndes Einkommen" von -7.872 EUR und setzte entsprechend H 34.2 Beispiel 4 EStH die tarifliche Einkommensteuer (Grundtarif) auf 62.480 EUR --unter Abzug der Steuerermäßigung nach § 35a EStG in Höhe von 300 EUR-- die Einkommensteuer auf 62.180 EUR fest.

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger aufgrund einer anderweitigen Berechnung die Festsetzung der tariflichen Einkommensteuer letztlich auf 41.565 EUR begehrte, hatten keinen Erfolg (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1788). Das FG entschied, dass die Steuerberechnung des FA nicht zu beanstanden sei. Träfen nämlich Tarifermäßigung mit negativem Progressionsvorbehalt zusammen, kämen beide Vergünstigungen zur Anwendung und es sei eine sog. integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Die Belastungsvergleichsrechnung des FA zeige, dass die finanzamtliche Ermittlung unter Berücksichtigung von Tarifermäßigung und negativem Progressionsvorbehalt zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führe.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 32b, § 34 Abs. 1 EStG). Er führt zur Begründung aus: Treffe die Tarifermäßigung mit einem negativen Progressionsvorbehalt zusammen, habe eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip zu erfolgen, wobei die ermäßigt besteuerten außerordentlichen Einkünfte bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes i.S. des § 32b Abs. 2 EStG einzubeziehen sei. Nach dem Urteil des BFH vom 15.11.2007 VI R 66/03 (BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375) sei die Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts anzuwenden "und nicht umgekehrt". Dabei sei nicht nur das zvE mit einem Fünftel, sondern vielmehr auch "die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte" wie auch die ermäßigt besteuerten außerordentlichen Einkünfte nur mit einem Fünftel zu berücksichtigen, so dass sich ein wesentlich geringerer (besonderer) Steuersatz ergebe und dies zu einem günstigeren Ergebnis für den Kläger führe. Der bei Gegenüberstellung des um das zurückgezahlte Arbeitslosengeld von 3.774 EUR verminderte zvE von 245.105 EUR zu den außerordentlichen Einkünften von 260.000 EUR resultierende Negativbetrag von 14.895 EUR ergebe eine Steuer von 0 EUR. Addiere man diesen Negativbetrag zu 1/5 des außerordentlichen Einkommens, nämlich den 52.000 EUR hinzu, ergebe sich auf die Summe von 37.105 EUR eine Einkommensteuer von 8.187 EUR. Die Steuer auf die außerordentlichen Einkünfte betrage demnach (8.187 EUR x 5 =) 40.935 EUR. Hieraus folge ein Steuersatz von 16,7010 % (40.935 EUR zu 245.105 EUR). Diesen angelegt auf das zvE von 248.879 EUR ergebe eine tarifliche Einkommensteuer von 41.565 EUR und unter Abzug der vom FA zuerkannten Ermäßigung für Handwerkerleistungen eine festzusetzende Einkommensteuer von 41.265 EUR.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (BFH Urteil vom 11.12.2012, IX R 23/11). Das FG hat die Berechnung der Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr durch das FA zu Recht nicht beanstandet. Die tarifliche Einkommensteuer bemisst sich nach dem zu versteuernden Einkommen, vorbehaltlich u.a. der § 32b und § 34 EStG (§ 32a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 1. Satzteil EStG). Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG die auf alle (im Veranlagungszeitraum bezogenen) außerordentlichen Einkünfte (nicht nur auf die Einnahmen) entfallende Einkommensteuer nach der sog. Fünftel-Regelung zu berechnen. Ist - wie im Streitfall - das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer. Hat ein Steuerpflichtiger Arbeitslosengeld bezogen, so ist auf das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (§ 32b Abs. 1 Satz 1 EStG); das ist gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 EStG der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird, und zwar um den Saldo der Arbeitslosengeld-Leistungen in Höhe von -3.374 EUR.

Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG und Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG sind nebeneinander anwendbar (sog. integrierte Steuerberechnung). Bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG muss sich wegen seines Zwecks der Abmilderung der Progressionswirkung eine geringere Einkommensteuer ergeben als bei einer Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach § 32a Abs. 1 EStG; das gilt erst recht, wenn die Tarifermäßigung mit einem negativen Progressionsvorbehalt zusammentrifft, weil sich ein negativer Progressionsvorbehalt im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags für die außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG notwendig steuersatzmindernd auswirkt.

Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung; die Revision hat daher keinen Erfolg. Die Berechnung des FA hat das FG (im Ergebnis) zutreffend für rechtens erachtet. Auf die Hilfserwägung des FG, die aufgrund der nicht zweifelsfreien Annahme eines (zusätzlich) als Arbeitslohn zugeflossenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 8.538 EUR zu einer höheren Steuer geführt hätte, kommt es wegen des im gerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots - so auch das FG - nicht an.

Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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