Dieser Artikel beschäftigt sich mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu arbeitsvertraglichen Widerrufsvorbehalten.
Das Thema besitzt im Hinblick auf das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die regelmäßig betroffenen finanziellen Fragen bereits allgemein eine besondere Brisanz. Noch gesteigert wird diese häufig in sog. Altfällen, d.h. bei Arbeitsverträgen aus der Zeit vor dem 01. Januar 2002. Diese wurden naturgemäß noch nicht mit Blick auf die, wenn auch durch § 310 Abs. 4 S. 2 BGB beschränkte, Einbeziehung von Arbeitsverträgen in die AGB-Kontrolle vereinbart und bieten diesbezüglich teils viel Angriffsfläche. Für Arbeitgeber ist es daher besonders wichtig zu wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie sich auf die Nichtvorhersehbarkeit einer solchen Kontrolle berufen können. Damit ist unmittelbar das Thema Vertrauensschutz angesprochen, mit dem sich das Bundesarbeitsgericht in der hier vorgestellten Entscheidung vom 20. April 2011 (Az.: 5 AZR 191/10) erneut beschäftigt hat. Arbeitgeber sollten über den insoweit aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert sein, um mit Rechtsfragen aus „Bestandsarbeitsverträgen“ sicher umgehen zu können.
Einleitung
Flexibilität ist im Arbeitsrecht ein knappes Gut. Arbeitgeber sehen sich häufig mit strengen Vorgaben konfrontiert, deren Einhaltung unternehmerisches Handeln nicht selten erschwert. Geht es dabei um die Gewährung zusätzlicher finanzieller Leistungen, liegt das berechtigte Interesse darin, diese im Hinblick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass keine unbegrenzte Bindung eintritt. Hierzu stehen sog. Widerrufsvorbehalte zur Verfügung, mit deren Hilfe sich Leistungen einseitig einstellen lassen. Auf diese Weise entsteht zwar, anders als beim sog. Freiwilligkeitsvorbehalt, zunächst ein Anspruch des Arbeitnehmers, der aber nachträglich wieder zum Erlöschen gebracht werden kann.
Das Rechtsinstitut des Widerrufsvorbehalts war in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Weil es sich bei entsprechenden Klauseln regelmäßig um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, kam der Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB dabei besondere Bedeutung zu. Im Einzelnen wurden vor allem formale Vorgaben z.B. zur Angabe von Gründen oder zur transparenten Gestaltung der Abreden gemacht. Besonders problematisch ist dies vor allem bei sog. „Altfällen“, d.h. bei Verträgen aus der Zeit vor dem 01. Januar 2002. Hintergrund ist die Geltung der §§ 305 ff. BGB für Arbeitsverträge ab dem 01. Januar 2002 bzw. ab dem 01. Januar 2003 (Übergangsfrist). Es stellt sich die Frage, wie mit AGB-rechtlichen unwirksamen Klauseln in diesen Verträgen umzugehen ist. Bei Widerrufsvorbehalten schied eine geltungserhaltende Reduktion insoweit regelmäßig aus. Die Klausel würde daher ersatzlos wegfallen.
Mit Blick auf die daraus für Arbeitgeber folgenden finanziellen Verpflichtungen ein unter Umständen dramatisches Ergebnis. Damit wiederum stellt sich die Frage nach einem Vertrauensschutz bzw. „Vertrauenskapital“ für Arbeitgeber. Im Falle von formal unwirksamen Widerrufsvorbehalten bejaht die Rechtsprechung eine ergänzende Vertragsauslegung, wenn die Annahme der Unwirksamkeit der Klausel ansonsten einen unzulässigen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatautonomie bedeuten würde. Nun ist das Arbeitsverhältnis aber typischerweise nicht statisch, sondern dynamisch angelegt. Dieser Umstand bringt Vertragsänderungen mit sich. Wurden zwar andere Teile des Arbeitsvertrags, nicht aber der Widerrufsvorbehalt, innerhalb der einjährigen Übergangsfrist vom 01. Januar 2002 bis zum 01. Januar 2003 geändert, vertrat die Rechtsprechung die Auffassung, dass dieser unterlassene Änderungsversuch die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung ausschließe (vgl. BAG, Urt. v. 19. Dezember 2006 – 9 AZR 294/06, zitiert nach juris). Änderungen im Arbeitsvertrag nach der Schuldrechtsreform ohne Anpassung der Widerrufklausel führten damit zum Entfall des Vertrauensschutzes (vgl. BAG, Urt. v. 30. Juli 2008 – 10 AZR 606/07, zitiert nach juris). Auf Verträge aus der Zeit nach dem 31. Dezember 2002 soll diese Rechtsprechung außerdem mangels Vorliegen „Altfalls“ ohnehin keine Anwendung finden. Praktisch dürfte in vielen Fällen das Unterbleiben eines Anpassungsversuchs und damit letztlich doch die Unwirksamkeit der Klausel die Regel sein. Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum „Vertrauenskapital des Arbeitgebers“, so auch die hier besprochene, verdienen daher besondere Beachtung.
Sachverhalt
In dem vom Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG, Urt. v. 20. April 2011 – 5 AZR 191/10) zu beurteilenden Fall ging es um die Klage eines angestellten Tierarztes. In dessen 1990 vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag war eine widerrufliche Zulage vorgesehen. Von diesem Widerrufsrecht machte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 19. September 2007 Gebrauch und widerrief die Zulage mit Wirkung zum 31. Dezember 2007. Hiergegen klagte der Arbeitnehmer und unterlag in der ersten Instanz. Das Landesarbeitsgericht gab der Klage dagegen statt. Die Revision der Beklagten führte zur Zurückverweisung der Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht.
Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG, Urt. v. 20. April 2011 – 5 AZR 191/10) hat in der Entscheidung, von der bislang nur die Pressemitteilung vorliegt, zunächst ausgeführt, dass der Widerruf einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen versprochenen Leistung des Arbeitgebers nicht grundlos erfolgen dürfe. Vielmehr müssten seit dem 01. Januar 2002 die Widerrufsgründe in der Vertragsklausel angegeben werden. Fehle diese Angabe, sei die Klausel gemäß §§ 308 Nr. 4, 307 BGB unwirksam. Die hierdurch entstehende Vertragslücke könne aber in vor dem 01. Januar 2002 vereinbarten Klauseln im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden. Dabei sei es unerheblich, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in der gesetzlichen Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2002 eine Anpassung der Klausel an den strengeren Rechtszustand angetragen hätte. Im konkreten Fall war die Klausel nur deswegen unwirksam, weil sie in formeller Hinsicht den strengeren, seit dem 01. Januar 2003, geltenden Anforderungen nicht genügte. Zur Verhinderung einer unzulässigen Rückwirkung des durch die Schuldrechtsmodernisierung geänderten BGB und zur Schließung der entstandenen Vertragslücke sei eine ergänzende Vertragsauslegung geboten. Die Sache wurde daher zur Klärung der von dem Arbeitgeber behaupteten wirtschaftlichen Gründe für den Widerruf zurückverwiesen.
Praxishinweis
Die Entscheidung liegt zunächst auf der bisherigen Linie des Bundesarbeitsgerichts zur formalen Gestaltung von Widerrufsvorbehalten. Sie bestätigt damit die von den Arbeitgebern bei der Vertragsgestaltung zu beachtende Rechtslage. Diese zwingt vor allem zur Einhaltung von formalen Vorgaben und führt dazu, dass ein „grundloser“ oder „jederzeitiger“ Widerruf nicht wirksam vereinbart werden kann.
Viel wesentlicher aber ist die mit diesem Urteil verbundene massive Verbesserung des Vertrauensschutzes für Arbeitgeber. Ihnen, die sich mit der formalen Unwirksamkeit von Widerrufsvorbehalten in ihren Bestandsarbeitsverträgen konfrontiert sehen, wird in weiterem Umfang als bisher ein „Vertrauenskapital“ gewährt. Führte der unterbliebene Versuch zur Anpassung der Klausel an die neuen §§ 305 ff. BGB bislang zum Wegfall des Vertrauensschutzes, ist dies nach Auffassung des 5. Senats nicht mehr der Fall. Die Abweichung von der Rechtsprechung des 9. Senates (a.a.O.) ist insoweit unverkennbar. Für Arbeitgeber bedeutet dies nicht nur Rechtssicherheit sondern vor allem auch eine erhebliche Verringerung finanzieller Risiken durch dauerhaft zu gewährende Leistungen, die eigentlich flexibel geplant waren. Soweit bestehende Widerrufsklauseln mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung nicht angewandt wurden, könnte dies daher, nach einzelfallbezogener Prüfung, jetzt wieder möglich sein. Nicht übersehen werden darf gleichwohl, dass sich die Ausdehnung des Vertrauensschutzes (vgl. zum umgekehrten Fall die Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung bei Langzeiterkrankungen) nur auf „formal“ unwirksame Klauseln bezieht. Insoweit kommt auch der Gestaltung von neuen Arbeitsverträgen unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle unverändert große Bedeutung zu. Jedenfalls das mit der jüngsten Entscheidung des BAG gewährte Vertrauenskapital dürfte ungeachtet dessen aber „widerrufsfest“ sein.
Quelle: Rechtanwalt Lars C. Möller (Taylor Wessing Frankfurt am Main)