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Neue Erkenntnisse zum Spracherwerb von Säuglingen

04.05.2017  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs).

Ungefähr zu ihrem ersten Geburtstag sprechen Kinder das erste Wort. Viele alltägliche Wörter verstehen sie aber bereits ein halbes Jahr früher, wie die Forschung zur Sprachentwicklung belegt.

In einer aktuellen Studie zeigen Entwicklungspsychologinnen der Universität Tübingen, dass Säuglinge bereits mit drei Monaten gesprochene Wörter in Silbenbetonung und Silbenlaute zerlegen. Scheinbar können sie diese verschiedenen Pfade der Verarbeitung gesprochener Sprache aber erst am Ende des ersten Lebensjahres zusammenführen.

Als Erwachsene verarbeiten wir gesprochene Sprache auf getrennten Pfaden. Wörter werden zum einen in einzelne Sprachlaute zerlegt, wie zum Beispiel das Wort „Konstanz“ in die Sprachlaute „K-O-N-S-T-A-N-Z“. Zum anderen achten wir auf die Betonung von Silben. In der Silbenbetonung unterscheiden sich beispielsweise die Wörter „KON-stanz“ (die Stadt am Bodensee mit betonter erster Silbe) und „kon-STANZ“ (der gleichbleibende Zustand mit betonter zweiter Silbe). Obwohl gesprochene Wörter in ihre Sprachlaute und ihre Betonung zerlegt werden, nehmen erwachsene Hörer sie als Einheiten wahr. Dazu führen sie in Bruchteilen einer Sekunde beide Pfade der Verarbeitung zusammen. „Die Ergebnisse unserer Untersuchung deuten darauf hin, dass Säuglinge das Sprachsignal auf der Suche nach Wörtern zerlegen und über die Zeit erst lernen müssen, es wieder zusammen zu setzen“, sagt Claudia Friedrich, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Tübingen.

EG-Studie mit Säuglingen verschiedener Altersstufen

Gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen untersuchte Friedrich das Sprachverstehen von Säuglingen deutschsprachiger Eltern drei, sechs und neun Monate nach ihrer Geburt. Im Experiment setzten die Forscherinnen den Säuglingen EEG-Kappen auf, mit deren Hilfe sie die Hirnaktivitäten aufzeichnen konnten. Dann spielten sie den Säuglingen zweisilbige Wörter vor, die sie häufig in ihrem Alltag hören (wie zum Beispiel „Baby“, „Mama“ oder „Papa“). Zuerst wurde ihnen dabei nur die erste Silbe eines Wortes vorgespielt. In einer Bedingung war diese Einzelsilbe mit der ersten Silbe des danach vorgespielten Zielwortes identisch (zum Beispiel „MA“ – „MA-ma“). In einer zweiten Bedingung war die Einzelsilbe zwar ebenfalls mit der ersten Silbe des Zielwortes identisch, allerdings wurde das Zielwort anders betont (zum Beispiel „ma“ – „MA-ma“). In einer dritten Bedingung wich die Einzelsilbe von der ersten Silbe des Zielwortes ab (zum Beispiel „SO“ – „MA-ma“). In einer vierten Bedingung variierten sowohl die Silbe selbst als auch die Betonung (zum Beispiel „so“ – „MA-ma“).

Unterschiedliche Effekte für die untersuchten Altersgruppen

Die Analysen der Gehirnströme zeigen unterschiedliche Effekte für die untersuchten Altersgruppen. Bereits drei Monate alte Säuglinge zerlegen Sprache in einzelne Aspekte. Sie achten dabei auf die Silben und deren Betonung. „So finden sie heraus, dass in vielen deutschen Wörtern eine betonte Silbe einer unbetonten Silbe vorausgeht, zum Beispiel in Mama, Papa oder Schnuller“, erklärt Claudia Friedrich.

Sechs Monate nach der Geburt hingegen achten Säuglinge auf die einzelnen Sprachlaute und ignorieren die Silbenbetonung. „Dadurch finden sie heraus, wie sich die Wörter im Detail unterscheiden“, sagt Claudia Friedrich. „Die Sprachlaute scheinen ihnen also dann besonders wichtig zu sein, wenn sie ein ‚Wörterbuch‘ der Muttersprache anlegen.“

Zusammenführung der Verarbeitungspfade mit neun Monaten

Die Fähigkeit, die Betonung und die Sprachlaute zu verbinden zeigen die Säuglinge erst mit etwa neun Monaten, also nachdem sie bereits viele Wörter erkennen. „Sie benötigen dann für das Zusammenführen der Sprachlaute und der Betonung nur geringfügig länger als Erwachsene“, erläutert Claudia Friedrich. „Die Ergebnisse zeigen, dass Säuglinge schon sehr effiziente Hörer sind. Das Wissen über diese frühen Meilensteine des Spracherwerbs kann uns außerdem helfen, Auffälligkeiten bereits im Säuglingsalter zu erkennen und reguläre Entwicklungspfade gezielt zu fördern.“



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