05.06.2019 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ärzte gegen Tierversuche e. V..
1,2 Millionen Deutsche sind von Alzheimer betroffen – eine Krankheit, die für die Patienten, aber auch für deren soziales Umfeld, eine schwere Belastung darstellt. Zahlreiche „Tiermodelle“ werden Jahr für Jahr entwickelt, vorgeblich, um die Alzheimer-Erkrankung zu erforschen und Therapien zu entwickeln. Unzählige Mäuse werden genmanipuliert, indem ihnen ein menschliches Gen eingepflanzt wird mit dem Ergebnis, dass trotz jahrzehntelanger tierexperimenteller Forschung Morbus Alzheimer weder ursächlich verstanden noch heilbar ist. Das liegt nicht zuletzt an der Komplexität der Erkrankung, die in den Tierversuchen nicht abbildbar ist. „Es ist absurd, zu glauben, man könne eine komplexe Erkrankung wie Morbus Alzheimer in einer Maus nachahmen, die von Natur aus niemals daran erkranken würde“, sagt Dr. Tamara Zietek, Wissenschaftlerin bei Ärzte gegen Tierversuche. „Einem solchen Tier ein einzelnes Gen einzubauen, das beim Menschen im Zusammenhang mit Alzheimer steht, ist kein zielführender Forschungsansatz. Es gibt etliche Gene, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden, und deren komplexes Zusammenspiel im menschlichen Körper kann man bei Mäusen niemals nachbilden. Außerdem ist die genetische Komponente bei Alzheimer nur ein Aspekt von vielen, die die Krankheitsentstehung und den Verlauf beeinflussen.“
Das Dilemma wird mittlerweile auch von immer mehr behandelnden Fachärzten kritisiert. Mehr als 300 Therapiemethoden sind bisher an der „Alzheimer-Maus“ „erfolgreich“ getestet worden, trotzdem ist daraus auch nach jahrzehntelanger Forschung kein einziges Medikament entstanden, das die Erkrankung heilen oder aufhalten kann. Die wenigen verfügbaren Therapien zeigen keine zufriedenstellende Verbesserung der Symptome und/oder sind meistens mit starken Nebenwirkungen verknüpft, die die Lebensqualität der Patienten deutlich beeinträchtigen. Existierende Alzheimer-Medikamente, die aufgrund fehlender Wirksamkeit oder inakzeptabler Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden müssen, stellen keine Ausnahme dar. Erst vor wenigen Wochen wurde eine klinische Studie an Patienten mit dem im Tierversuch vielversprechenden Wirkstoff Aducanumab wegen Erfolglosigkeit abgebrochen. Auch renommierte Forscher aus dem Bereich der Neurologie sprechen sich zunehmend gegen die Tierversuchs-basierte Forschung aus und kritisieren, dass diese aufgrund fehlender Vergleichbarkeit nicht geeignet ist, um die menschliche Erkrankung zu erforschen.
Forscher der Ruhr-Universität Bochum haben nun mithilfe humaner Gehirn-Organoide geschafft, einen wichtigen Mechanismus der Alzheimer-Erkrankung aufzuklären. Sie sprechen von einem „lebenden System“, in dem sich die Nervenzellen wie die im echten menschlichen Gehirn verhalten. Aus zum Beispiel Haut- oder Haarwurzelproben menschlicher Spender werden sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) gezüchtet, die im nächsten Schritt so umprogrammiert werden, dass daraus Mini-Gehirne entstehen.
„Das ist ein Riesenvorteil gegenüber Gehirnen von Mäusen oder Ratten, die große Unterschiede zum menschlichen Gehirn aufweisen, was sicherlich die Hauptursache für das Scheitern dieser ‚Tiermodelle‘ darstellt“, kommentiert Dr. Tamara Zietek. Es gibt verschiedene Theorien zu der Entstehung von Alzheimer, u.a. die weit verbreitete Beta-Amyloid-Theorie, die die Bildung der sogenannten Plaques im Gehirn von Alzheimer-Patienten erklären soll. Inwiefern diese Plaques jedoch zur typischen Symptomatik der Erkrankung (Vergesslichkeit etc.) beitragen, ist umstritten.
Die Bochumer Forscher haben nun anhand der humanen Gehirn-Organoide herausgefunden, dass das Protein, das auch für die Bildung der Plaques verantwortlich ist, in weitere Prozesse involviert ist, die zum Absterben der Nervenzellen führt – ein neu entdeckter Prozess, der mit hoher Wahrscheinlichkeit maßgeblich zum Verlauf der Alzheimer-Erkrankung beiträgt.
Die Gehirn-Organoide können nicht nur aus gesunden Menschen, sondern auch aus Alzheimer-Patienten generiert werden. Die Forscher geben sogar an, dass das Verfahren auch für weitere neurologische Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenie angepasst werden kann. Mithilfe Patienten-spezifischer Gehirn-Organoide steht nach jahrzehntelangem Scheitern der Tierversuche nun ein Krankheitsmodell zur Verfügung, welches die ideale Voraussetzung für effektive Medikamententestungen liefert und eine personalisierte Medizin ermöglicht.
Quellen:
Alzheimer im Mini-Gehirn. RUBIN Wissenschaftsmagazin, 1/2019, S. 48-51
https://news.rub.de/wissenschaft/2019-04-30-biochemie-alzheimer-im-mini-gehirn
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