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Herdentrieb am Finanzmarkt: Crashs und Krisen sind vorprogrammiert

21.04.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz / idw.

Sowohl große Krisen an den Finanzmärkten als auch kurzzeitige Trends gehorchen dem gleichen Gesetz

Dass es an den Finanzmärkten zu Krisen und selbst zu großen Crashs kommen kann, wie etwa im Jahr 2008, ist kein Zufall und auch keine Überraschung, sondern die zwangsläufige Folge der sich auf- und abbauenden Trends an diesen Märkten. Zu diesem Schluss kommt Dr. Tobias Preis in einer Untersuchung, die er am Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durchgeführt hat und bei der Methoden und Konzepte aus der Physik zur Analyse von Finanzmarktdaten herangezogen wurden. Preis untersuchte dazu knapp drei Milliarden Transaktionen an den Börsenplätzen in Frankfurt und New York.

Sein Fazit: Trends bauen sich auf allen Zeitebenen nach einer ganz bestimmten Gesetzmäßigkeit auf und ab. Während die ökonomische Herangehensweise meist davon geprägt ist, für Modelle des Finanzmarktes ein System im Gleichgewicht anzunehmen, liefert die Physik Werkzeuge, um derart komplexe Systeme wesentlich besser beschreiben zu können.

„Nach ökonomischer Theoriebildung hätte es gar nicht zur Finanzkrise kommen dürfen. In effizienten Märkten sollten wegen deren Selbstorganisation keine Blasen oder Zusammenbrüche entstehen. In der Realität sind Finanzmärkte allerdings wesentlich komplexer“, erklärt Tobias Preis. Er beobachtet seit Jahren die Finanzmärkte mit den Augen des Physikers und nutzt die physikalischen Methoden zur Untersuchung dieser nicht-stationären, dynamischen Prozessen, wie sie in der Physik, aber eben auch in komplexen sozialen und ökonomischen Systemen auftauchen.

Bei seiner Untersuchung von Aktienkursen, Transaktionsvolumina und Zeitintervallen zwischen einzelnen Handelsabschlüssen an den beiden Börsenplätzen in Frankfurt und New York hat Preis eine Gesetzmäßigkeit gefunden, die das Verhalten von Finanzmärkten im Zeitablauf beschreibt: Wenn sich ein Trend oder eine Blase aufbaut, kommt es kurz vor dem Trendwendepunkt – oder im extremen Fall vor dem Crash – zu einem sehr starken Anstieg des Transaktionsvolumens. Dieses Verhalten, das sich durch ein Potenzgesetz beschreiben lässt, findet sich auch bei den Zeitintervallen zwischen den einzelnen Kauf- oder Verkaufstransaktionen. „Wir können messen, dass die Zeitintervalle zwischen den Transaktionen immer kürzer werden, wenn der Trendwendepunkt näher rückt“, erklärt Preis. Immer mehr Anleger folgen dem Herdentrieb und springen auf den Boom auf.

Das Erstaunliche an den Befunden ist, dass diese Potenzgesetzabhängigkeit auf allen Zeitskalen gleichermaßen auftritt: angefangen von Zeitintervallen im Millisekundenbereich – also dem Hochfrequenzhandel, bei dem Computer Kauf- und Verkaufsorders durch die Datenkabel jagen – bis zu den Schwankungen über Wochen und Monate. „In der Praxis verhalten sich große Blasen wie kleine Trends, sodass wir von den kleinen Trends etwas für die großen Krisen lernen können. Katastrophale Crashs sind keine Ausreißer, sondern einzelne dramatische Ereignisse, die durch das skalenfreie Verhalten der auf- und absteigenden Trends auf ganz großen bis ganz kleinen Zeitskalen entstehen.“ Preis plädiert dafür, die Kenntnisse aus der Physik zu nutzen, um ein besseres Verständnis von Finanzmarktprozessen zu erhalten.

Seit Anfang 2011 ist Tobias Preis an der Professur für Soziologie, insbesondere Modellierung und Simulation an der ETH Zürich tätig. Er wird in den nächsten Monaten seine Erkenntnisse auf mehreren internationalen Konferenzen in Asien, Nordamerika und Europa vorstellen. Darüber hinaus engagiert er sich im zugehörigen Fachverband „Physik sozio-ökonomischer Systeme“, dessen Mitglieder ihn im März 2011 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt haben.

Quelle: Petra Giegerich, Johannes Gutenberg-Universität Mainz / idw
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