15.07.2019 — Markus Hiersche. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
In Deutschland strukturiert nach wie vor das Geschlecht den Arbeitsmarkt. Knapp zwei Drittel aller Männer arbeiten in einem männerdominierten Beruf, über die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in einem frauendominierten Beruf. In der Praxis ist diese Geschlechtertrennung fatal, denn was Arbeitsbedingungen, Verdienst oder Aufstiegschancen angeht, unterscheiden sich Männer- und Frauenberufe deutlich: Arbeitnehmerinnen verdienen weniger und sind seltener in Führungsetagen zu finden.
Auf diesen Arbeitsmarkt trifft nun die Digitalisierung, die zu einem nie gekannten Strukturwandel der Arbeitswelt führen wird. Die Hoffnung einiger Wissenschaftler*innen: Sie könnte sich positiv für Frauen auswirken und Frauen so zu den Gewinnerinnen des digitalen Wandels machen. Doch ist dem wirklich so? Das wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert.
Einig sind sich die Digitalisierungsexpertinnen darin, dass vor allem Routinearbeiten durch Maschinen ersetzt werden. Als automatisierungsgefährdet gelten daher Berufe in der Fertigungs- und Logistikbranche, aber auch Büroberufe auf Sachbearbeitungsebene. Damit sind sowohl typische Frauen- als auch Männerberufe negativ betroffen. Wenig betroffen sind dagegen Berufe im sozialen Bereich – Gesundheit und Lehre – und damit in einer typischen Frauendomäne. Gerade der Gesundheitsbereich wird aufgrund der demografischen Entwicklung noch weiter an Bedeutung gewinnen. Bleibt die Geschlechtersegregation auch in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt bestehen, profitieren Frauen also tatsächlich indirekt von der Digitalisierung, wenngleich anders als gedacht. Doch hier ist Vorsicht geboten: Gesundheitsberufe und Berufe im sozialen Bereich werden im Vergleich mit anderen Berufsgruppen immer noch schlecht bezahlt. Eine Aufwertung der sozialen Dienstleistungen ist daher als Voraussetzung für eine steigende Gleichstellung in einer digitalisierten Arbeitswelt absolut vonnöten. Ziel sollte es außerdem sein, die Grenze zwischen männerdominierten und frauendominierten Berufen zu überwinden.
Vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist dies besonders wichtig, denn es ist absehbar, dass gerade Jobs im MINT-Bereich nochmals an Gewicht gewinnen werden. Aktuell studieren aber noch zu wenige Frauen MINT-Fächer oder arbeiten in MINT-Berufen. Der Erfolg von Frauen in einer digitalisierten Arbeitswelt hängt also in entscheidendem Maße von ihrer Studienwahl ab. Hier sind vor allem auch die Bildungsinstitutionen gefragt, um Mädchen für Informatik bzw. die Ingenieurs- und Naturwissenschaften zu begeistern.
Ein weiterer Aspekt des digitalen Wandels, der sich positiv auf die Karrieren von Frauen auswirken kann, ist die Flexibilisierung der Arbeit, die durch Home Office und Co. ermöglicht wird. Mobiles Arbeiten erleichtert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zukünftig lässt sich daher Arbeit und Kindeserziehung besser vereinbaren, was auch der Karriere zuträglich ist. Denn bisher ziehen Frauen, wenn es darum geht zu entscheiden, wer mit der eigenen Karriere zurückhält, in der Diskussion mit ihrem Partner oft den Kürzeren. Der Mann arbeitet, die Frau betreibt das Familienmanagement und geht vielleicht noch halbtags der Karriere nach. Die Digitalisierung bietet aber auch eine Chance, diese Muster aufzubrechen. Schließlich können auch Männer verstärkt auf Home Office zurückgreifen und sich so gleichberechtigter in das Familienmanagement einbringen. Das bietet für beide Geschlechter neue Chancen und Möglichkeiten, wenn sich sowohl Frauen als auch Männer den Gefahren flexibler Arbeitszeiten bewusst sind. Studien zeigen nämlich, dass flexible Arbeitsmodelle zu durchschnittlich höheren Arbeitszeiten führen können.
Der größte Vorteil, den die Digitalisierung aber für Frauen bereit hält und der ihnen neue Karrierechancen eröffnet, sind nach der Soziologin Christiane Funken deren stark ausgeprägten „Future-Skills“. Nach Funken führe die Digitalisierung zu, dass die Arbeitsprozesse der Zukunft in interdisziplinären Teams stattfinden würden. Das Problem dabei sei, dass die wenigsten Fachkräfte in der Lage sind, die Fachsprache anderer Expert*innen zu verstehen. Es brauche also Arbeitnehmer*innen, die integrierend wirken, Spannungen abbauen und Konflikte lösen können. Geht es nach Funken können diese Eigenschaften überwiegend Frauen zugeschrieben werden, denen diese Fähigkeiten klassischerweise seit Kindheit an anerzogen werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass Unternehmen den Wert der „Future-Skills“ auch erkennen und auf die veränderte Jobrealität reagieren.
Die Voraussetzungen dafür, dass Frauen Gewinnerinnen der Digitalisierung werden können, sind folglich durchausgegeben. Jetzt liegt es aber daran, die Chancen zu nutzen und die Potentiale auszuschöpfen. Erfolg muss erarbeitet werden.
Quellen und Hintergründe
Bild: Jacob Lund (Adobe Stock, Adobe Stock Standardlizenz)
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