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Einschränkung der Kriterien zur Auswahl der Arbeitnehmer bei einer Änderungskündigung

25.01.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: PersonalGate.

Entscheidung des Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil v. 12.08.2010 – 2 AZR 945/08) zur Frage, welche Anforderungen bei der Auswahl zwischen mehreren Arbeitnehmern zu stellen sind, denen eine Änderungskündigung auszusprechen ist, insbesondere welche Kriterien bei der "Sozialauswahl" berücksichtigt werden dürfen

Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Teilbetriebsstilllegung und/oder die Verlagerung an einen oder mehrere andere Standorte, muss der Arbeitgeber oftmals nicht nur auswählen, welchen Arbeitnehmern ggf. betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen sind, sondern auch prüfen, welchen Arbeitnehmern er die zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze an den anderen Standorten anbietet. Dies führt dazu, dass der Arbeitgeber auch bei betriebsbedingten Änderungskündigungen mit der Sozialauswahl konfrontiert ist. Der Arbeitgeber hat dabei zu prüfen, wie sich die vorgeschlagene Vertragsänderung auf den sozialen Status vergleichbarer Arbeitnehmer auswirkt, d.h. wen gerade diese Änderung am härtesten träfe und hat die Änderungskündigung demjenigen gegenüber auszusprechen, dessen sozialer Status insoweit am wenigsten schutzbedürftig ist.

Einleitung

Seit der Änderung des KSchG vom 24.12.2003 sind bei einer betriebsbedingten Kündigung die für die Sozialauswahl zu verwendenden sozialen Kriterien durch § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG abschließend vorgegeben (Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung). Hingegen war bei betriebsbedingten Änderungskündigungen bislang umstritten, ob der Arbeitgeber sich insoweit (wie bei der Beendigungskündigung) ebenfalls ausschließlich auf diese vier Kriterien stützen darf und muss oder weitere Kriterien bei der Sozialauswahl benutzen darf. Gerade bei Änderungskündigungen sind die vier vorgenannten Kriterien oftmals wenig aussagekräftig dafür, ob ein Arbeitnehmer von dem Änderungsangebot besonders hart betroffen wird. Daher wurden in der Praxis zum Teil weitere Gesichtspunkte herangezogen, wie z.B. der Fahrtweg, pflegebedürftige Angehörige, die Anpassungsfähigkeit, der Gesundheitszustand oder auch Verpflichtungen durch Eigentum (vgl. BAG, Urt. v. 18.01.2007 – 2 AZR 796/05). Das BAG hatte eine solche Erweiterung der Kriterien bislang in Bezug auf die alte Fassung des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG für zulässig erachtet. In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG (Urt. v. 12.08.2010 – 2 AZR 945/08) nunmehr erstmalig zu dieser Frage nach der Gesetzesänderung Stellung genommen.


Sachverhalt

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Der Arbeitgeber betreibt Immobilienmanagement im ländlichen Raum der fünf neuen Bundesländer. In einem Bundesland bestehen drei Standorte in S., R. und N. Wegen rückläufigen Auftragsvolumens beschloss der Arbeitgeber im Jahr 2005, den Standort in R. zu schließen und die verbleibenden Aufgaben des Standortes R. auf die Standorte in N. und S zu übertragen.

Im Zuge der Schließung des Standortes R. wurden dem Standort S. 11,5 und dem Standort N. 19 Vollzeitpositionen zugewiesen. In einer mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinie bestimmten die Betriebsparteien ein Punkteschema, nach dem die Sozialauswahl bezüglich der auszusprechenden Änderungskündigungen zu erfolgen habe. Um die besondere Belastungen der Änderung des Arbeitsortes abzubilden, bezog die Auswahlrichtlinie dabei nicht nur die vier Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung) ein, sondern vergab weitere Punkte für jedes im Haushalt lebende Kind (vom 13. bis zum 18. vollendeten Lebensjahr), für jeden pflegebedürftigen Angehörigen sowie für die Fahrtzeitdifferenz zwischen dem neuen und alten Arbeitsplatz. Unter Anwendung dieser Kriterien waren den beiden klagenden Arbeitnehmern Änderungskündigungen für eine Position in dem (wegen der schlechteren Verkehrslage weniger beliebten) Standort Neubrandenburg auszusprechen. Die Arbeitnehmer nahmen das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und klagten hiergegen. Sie waren der Auffassung, dass die Sozialauswahl unzutreffend vorgenommen worden sei und dass bei korrekter Sozialauswahl eine Position am Standort in S. hätte angeboten werden müssen.


Entscheidung

Das BAG gab der Revision der Arbeitnehmerin statt. Das BAG war der Auffassung, die Sozialauswahl sei fehlerhaft vorgenommen, da unzulässige Kriterien in die Sozialauswahl einbezogen worden seien. Auch bei einer Sozialauswahl im Rahmen von Änderungskündigungen dürften angesichts des klaren Gesetzeswortlautes ebenfalls allein die in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG festgelegten Kriterien herangezogen werden, auch wenn diese ggf. für die besondere Situation der Änderungskündigung nur wenig aussagekräftig seien. Auf eine Heranziehung zusätzlicher Kriterien müsse wegen der klaren gesetzlichen Regelung verzichtet werden. Zusätzliche Kriterien dürften lediglich bei der Gewichtung der vier zulässigen, in § 1 Abs. 3 KSchG genannten Kriterien zueinander berücksichtigt werden, aber auch nur dann wenn das hierbei berücksichtigte zusätzliche Kriterium einen unmittelbaren Bezug zu einem dieser Hauptkriterien hat. Das BAG verwies den Rechtsstreit zurück an das Berufungsgericht, da dieses nun zu überprüfen habe, ob bei einer Sozialauswahl ausschließlich nach den vier zulässigen Kriterien den Arbeitnehmern ein Angebot am Standort S. hätte gemacht werden müssen.


Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG verschafft zwar Klarheit dahingehend, dass auch in Bezug auf Änderungskündigungen § 1 Abs. 3 KSchG abschließend ist und dass auch bei der Sozialauswahl im Rahmen einer Änderungskündigung nach der Gesetzesänderung Ende 2003 ausschließlich auf die vier Kriterien (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) abzustellen ist. Anders, als bislang teilweise in der Praxis üblich, dürfen weitere Kriterien nicht für die Sozialauswahl herangezogen werden. Allerdings entwertet dies zugleich die Funktion der Sozialauswahl bei Änderungskündigungen, für eine gerechte und soziale Durchführung einer Änderung der Arbeitsbedingungen zu sorgen. In der Praxis wird die Heranziehung ausschließlich der vier zulässigen Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG gerade bei Änderungskündigungen mutmaßlich zu unbilligen Ergebnissen führen, da diese vier Kriterien im Grunde keine Aussage dazu treffen, wen die Veränderung des Arbeitsplatzes am härtesten treffen könnte, sondern diese vielmehr auf eine Beendigungskündigung ausgerichtet sind.

Dies erkennt wohl auch das BAG mit dem Hinweis, zusätzliche Kriterien, können aber im Rahmen der Gewichtung der vier zulässigen Kriterien zueinander verwendet werden. Allerdings hilft dies nicht weiter, denn wie genau eine solche „mittelbare“ Berücksichtigung weiterer Kriterien aussehen soll, lässt das BAG offen. Angesichts dessen bleibt zu hoffen, dass sich das BAG möglichst bald mit der Gewichtung und dem Einfluss der zusätzlichen Kriterien zu beschäftigen hat und insbesondere mit der Frage, wann ein unmittelbarer Bezug zu den vier zulässigen Kriterien besteht. Bis dahin wird man sich in der Praxis allein auf die vier Sozialauswahlkriterien des § 1 Abs. 3 KSchG beschränken müssen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Quelle: Irene Bergmann (Taylor Wessing Berlin)
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