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Die arbeitsrechtliche Gretchenfrage - der Konflikt zwischen Arbeitspflichten und religiösen Geboten

09.03.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: PersonalGate.

Praxis-Kommentar zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09) zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, einem Arbeitnehmer zu kündigen, der sich aus religiösen Gründen weigert, seine Arbeitsaufgabe zu erfüllen.

Einleitung

Die Religionsausübung von Arbeitnehmern kann in verschiedenen Situationen zu Konflikten in Unternehmen führen. Arbeitnehmer können sich durch ihre Religion dazu verpflichtet sehen, auch während ihrer Arbeitszeit im Betrieb nach den Vorgaben ihrer Religion zu leben. Die Arbeitgeber haben im Gegenzug ein Interesse daran, dass die Arbeitsabläufe durch eine solche Religionsausübung nicht beeinträchtigt werden.

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In der Vergangenheit standen hier insbesondere Fälle im Fokus, in denen sich Arbeitnehmer entsprechend ihrer religiösen Überzeugung kleiden wollten und der Arbeitgeber hierdurch negative Konsequenzen in der Beziehung zu Kunden und Geschäftspartnern befürchtete. So hatte das BAG bereits 2002 die Kündigung einer Verkäuferin in einer Parfümerieabteilung eines Kaufhauses, die während der Arbeitszeit ihr islamisches Kopftuch tragen wollte (BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01) für unwirksam erklärt. Die Kündigung sei nicht durch personenbedingte Gründe gerechtfertigt, da die Arbeitnehmerin auch mit Kopftuch ihrer Verpflichtung, dem Verkaufen, nachgehen könne. Auch aus verhaltensbedingten Gründen sei die Kündigung nicht gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin könne von der Arbeitnehmerin aus Rücksicht auf ihre Religionsfreiheit nicht ohne weiteres die Einhaltung eines allgemeinen Bekleidungsstandards verlangen.

Das BAG hatte nun in einem Fall zu entscheiden, in dem sich ein Arbeitnehmer in einem Supermarkt aus religiösen Gründen weigerte, die Regale mit alkoholischen Getränken zu bestücken (BAG, Urteil v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09).

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer (Kläger) war zunächst in der Frischwarenabteilung eines Supermarkts beschäftigt. Dort konnte er aber nicht mehr eingesetzt werden, da er offenbar aufgrund der Kälte, die die Kühlregale abstrahlten, häufig krank wurde. Die Arbeitgeberin (Beklagte) versetzte ihn daher in die Getränkeabteilung, in der der Kläger auch zuvor schon einmal tätig gewesen war. Dort weigerte er sich beharrlich, die Arbeit aufzunehmen, da ihm sein muslimischer Glaube ihm jeden Kontakt mit Alkohol verbiete.

Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin fristlos, hilfsweise fristgemäß wegen der Weigerung des Klägers, die Arbeitsleistung zu erbringen. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und scheiterte in den ersten beiden Instanzen. Die Kündigung wurde aufgrund der beharrlichen Arbeitsverweigerung des Klägers für wirksam gehalten. Bei der Zuweisung der Arbeit seien das Grundrecht der Religionsfreiheit des Klägers aus Artikel 4 Grundgesetz und das Grundrecht der Berufsfreiheit der Beklagten aus Artikel 12 Grundgesetz miteinander abzuwägen. Hierbei wurde durch das Landesarbeitsgericht in die Bewertung einbezogen, dass der Kläger bereits zuvor einmal in der Getränkeabteilung beschäftigt war, ohne sich über den Kontakt mit alkoholischen Getränken zu beschweren. Nach der vorgenommenen Abwägung war die Versetzung in die Getränkeabteilung rechtmäßig. Die Weigerung des Klägers, dort zu arbeiten, stellte dementsprechend eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die die fristgemäße Kündigung rechtfertigte (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 20.01.2009 – 5 Sa 270/08).

Entscheidung

Das BAG hat dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das BAG hat hierbei festgestellt, dass es grundsätzlich zwar möglich ist, einem Arbeitnehmer zu kündigen, der sich aus religiösen Gründen weigert, seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag nachzukommen. Voraussetzung sei allerdings, dass es für diesen Arbeitnehmer keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, die seine Religion ihm nicht verbietet. Mache ein Arbeitnehmer geltend, dass er aus religiösen Gründen daran gehindert sei, seine vertraglich geschuldeten Tätigkeiten auszuüben, so habe er dem Arbeitgeber mitzuteilen, worin genau diese Gründe bestehen, und darzulegen, welchen Tätigkeiten genau er nicht nachgehen kann. Wenn es für den Arbeitgeber im Rahmen seiner betrieblichen Organisation dann möglich sei, den Arbeitnehmer in einer Weise zu beschäftigen, die durch dessen Religion nicht verboten ist, so habe er ihm diese Tätigkeit zuzuweisen.

Ob dies in dem entschiedenen Fall möglich war, konnte das BAG auf Grundlage des ihm vorliegenden Sachverhalts nicht beurteilen, weshalb es das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zurückverwies.

Praxishinweis

Das BAG hat durch diese Entscheidung erneut deutlich gemacht, dass es dem Schutz der Religionsfreiheit der Arbeitnehmer gegenüber der Berufsausübungsfreiheit der Arbeitgeber ein erhebliches Gewicht einräumt. Bisher hatte das BAG lediglich entschieden, dass das Tragen religiöser Kleidung bei der Erbringung der Arbeitsleistung nicht ohne weiteres einen Kündigungsgrund darstellt. Nach der neuen Entscheidung ist eine Kündigung nun auch dann nur unter deutlich erschwerten Bedingungen möglich, wenn der Arbeitnehmer sich aus religiösen Gründen weigert, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Dies ist deshalb besonders bemerkenswert, da die Weigerung des Arbeitnehmers in diesem Fall das Kernstück der arbeitsrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betrifft – die Erbringung von Arbeit gegen Bezahlung.

Für Arbeitgeber ergeben sich hieraus erhebliche Schwierigkeiten in der Bewertung, wann eine solche Weigerung für eine Kündigung ausreichen kann und wann dies nicht der Fall ist. Entscheidend hierfür ist zum einen, ob die Weigerung tatsächlich religiös bedingt ist oder ob dies möglicherweise nur vorgeschoben ist, um unliebsame Verpflichtungen zu vermeiden. Hier wird zu ermitteln sein, ob eine Weigerung nach den jeweiligen religiösen Vorschriften plausibel ist. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn sich keine eindeutige Vorgabe ermitteln lässt, weil diese Frage innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaft selbst umstritten ist.

Ist die angegebene religiöse Verpflichtung plausibel, so ist der Arbeitgeber gehalten, den betroffenen Arbeitnehmer auf eine Position zu versetzen, die mit seiner Religionsausübung nicht in Konflikt steht. Dies muss allerdings auch nur in dem Rahmen der existierenden betrieblichen Organisation geschehen. Die Arbeitgeber sind zumindest nicht gezwungen, die betrieblichen Strukturen zu verändern, um eine solche „religionsneutrale“ Stelle zu schaffen. Dies würde die Berufsfreiheit des Arbeitgebers in zu starkem Maße beeinträchtigen. Ist eine Versetzung nicht möglich, stellt die Weigerung grundsätzlich einen Kündigungsgrund dar.

Quelle: Dr. Matthias Sandmaier, LL.M. (University of Minnesota) (Taylor Wessing Hamburg)
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