16.03.2023 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Am 14. und 15. März trafen sich Politiker, Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur regelmäßig stattfindenden Bildungsforschungstagung. Teil der Veranstaltung war der im Koalitionsvertrag festgeschriebene „Bildungsgipfel“. In den Medien fand dieser Name Nährboden für allerlei Wortspiele – vom Bildungsgipfelchen oder -hügel war die Rede. Tatsächlich erschienen nur Astrid-Sabine Busse aus Berlin und Ties Rabe aus Hamburg sowie der Bildungsforscher Prof. Kai Maaz. Und natürlich die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger.
Der Gipfel sollte als „Auftakt […] einer neuen Kultur der Zusammenarbeit gesehen werden,“ so das Bildungsministerium. Stattdessen erklärten CDU- und CSU-Minister und Ministerinnen geschlossen, nicht zu erscheinen – Zusammenarbeit: ja, aber sicher nicht so, wie es sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung vorstellte.
Das Nichterscheinen der Ministerinnen und Minister wurde von manchen als wirksames Zeichen über Unzufriedenheit eingeschätzt – ein Appell an das Bundesministerium. Andere stuften das Verhalten als unbedachte Aktion ein, unter der letztendlich die Kinder leiden. Der Vergleich zur Schule liegt nahe: Dort dürfen Kinder weder unerlaubt fehlen, noch ohne Erklärung ihre Hausaufgaben nicht machen. Das rückblickende Urteil über die Entscheidung der Ministerinnen und Minister wird wohl stark daran hängen, ob die Politikerinnen und Politiker trotzdem etwas für die Kinder und ihre Bildung bewegen, ob sie das deutsche Schulsystem zu stärken und zu verändern wissen.
Klar ist, dass die Kinder ein Recht darauf haben, dass sich etwas verändert. Die UN-Kinderrechtskonvention sichert Kindern und Jugendlichen das Recht auf Bildung zu. Bildung trage zur vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit bei und fördere die Respektierung der Menschenrechte. Zwar hat in Deutschland jedes Kind prinzipiell die Möglichkeit, zur Schule zu gehen, die Baustellen sind nichtsdestotrotz groß. Das Deutsche Grundgesetz, Artikel 7, legt fest, dass das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht. Dieser scheint (zumindest teilweise) seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Lesen Sie, wo es dringenden Verbesserungsbedarf gibt:
Rund 92 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren tragen ein Smartphone in der Tasche. Viele von ihnen bedienen Handy, Tablet oder Computer intuitiv richtig. Die „digitalen Eingeborenen“ sind auf TikTok, Snapchat, WhatsApp und BeReal. Auf der einen Seite ist es unheimlich wichtig, den Kindern Medienkompetenz beizubringen. Gleichzeitig sind digitale Geräte Teil ihrer Lebensrealität. Unterricht, der ausschließlich auf Tafel und Papier stattfindet, läuft an ihnen vorbei.
Der Digitalisierungsindex Bildung der Telekom zeigt, wie groß der Digitalisierungsbedarf dennoch ist. So hat die Pandemie die Digitalisierung in Schulen nur punktuell vorangetrieben. Zwar implementierten viele Schulen Videokonferenz-Tools (75 %) und Schul-Apps (48 %) für das Home-Schooling, doch nur 55 % der Schulen konnten den Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern auch digitale Endgeräte zur Verfügung stellen.
Häufig fehlt die Infrastruktur, um den Unterricht stärker zu digitalisieren. 80 % der befragten Schulen gaben an, dass ihnen die Bandbreite, das heißt die Datenübertragungsraten des Internets, nicht ausreiche. Würden noch mehr Kinder gleichzeitig auf das Internet der Schulen zugreifen, wäre dieses noch stärker überlastet.
Auch bei den Lehrkräften fehlt es teilweise noch an Know-how. Nur 40 % der Schulen gaben an, dass bei ihnen Fachkräfte mit ausreichenden IT-Kenntnissen arbeiten.
Kinder aus Nichtakademikerfamilien haben es schwerer im deutschen Bildungssystem. Zwar zeigte eine Studie des Stifterverbands in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung McKinsey, dass sich die „Chancengerechtigkeit“ in puncto Bildung verbessert hat, trotzdem entscheidet die soziale Herkunft nach wie vor maßgeblich über den individuellen Bildungserfolg. Die größte Hürde bleibt weiterhin der Beginn eines Studiums nach der Schulzeit. Die Studie nennt dafür zum Beispiel folgende Gründe:
Schon jetzt herrscht an vielen Schulen starker Personalmangel. Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen können auch ohne pädagogische Ausbildung einzelne Lücken füllen – die Aussicht bleibt trotzdem schlecht. Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, wird sich die Lage weiter verschärfen. Mindestens 20 Jahre Lehrkräftemangel zeigte eine Studie des KMKs. Lehrkräfte, die in Teilzeit arbeiten, sollen zumindest zeitweise aufstocken, gegebenenfalls muss es größere Klassen geben. Ausbaden müssen die Misere also Privatpersonen – die Leidtragenden werden die Kinder sein.
Bröckelnder Putz, schimmelnde Wände – der Investitionsbedarf an Deutschlands Schulen ist hoch. Die Förderbank KfW stellte für das Jahr 2021 einen Investitionsrückstand von 45,6 Milliarden Euro fest. Die Unterschiede zwischen den Kommunen sind hoch. Ein Erfolg ist, dass der Investitionsbedarf im Vergleich zum Vorjahr nicht weiter anstieg. Die aktuelle Energiekrise dürfte zumindest die Kosten jedoch wieder in die Höhe treiben. Schlecht sanierte Schulgebäude sind ein Fass ohne Boden. Die steigenden Kosten belasten somit besonders finanziell schwächere Kommunen und erschweren Sanierungsarbeiten dadurch weiter.
In der Grundschule lernen Kinder lesen, rechnen und schreiben. Das tun sie immer noch, doch signifikant schlechter als vor zehn Jahren. Das zeigt der IQB-Bildungstrend 2021, der im Abstand von fünf Jahren Viertklässler und Viertklässlerinnen untersucht. Ein wichtiger Faktor war auch die Corona-Pandemie. In vielen Haushalten fehlten die Mittel, die Zeit oder schlicht das Wissen, um die Grundschülerinnen und Grundschüler während des Home-Schoolings adäquat zu unterstützen.
Darüber hinaus stellte der Bildungsforscher Klaus Klemm in einer Studie fest, dass der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne ersten Bildungsabschluss verlassen weiterhin hoch ist. 6,2 % der Schülerinnen und Schüler verließen die Schule 2021 ohne Hauptschulabschluss. 2011 lag der Anteil bei ähnlichen 6,1 % – vertanes Potenzial über einen Zeitraum von zehn Jahren.
Zur Bildungsforschungstagung erschienen rund 600 Teilnehmende. Die Kritik rund um das Gipfelchen war groß, konkrete Beschlüsse sind nicht zu verzeichnen. Vorschläge gibt es zahlreiche, doch es herrscht Uneinigkeit. Um eine nähere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen anzustoßen, plante das Bildungsministerium die Taskforce „Team Bildung,“ doch auch hier sind noch keine konkreten Pläne in Sicht. Zu hoffen bleibt, dass sich zeitnah etwas zum Wohle der Schülerinnen und Schüler ändern wird.
Eine große Gruppe aus Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften hatte sich bereits im Vorhinein zu einer Initiative zusammengeschlossen. Sie appellieren an den Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder, einen „grundlegenden Reformprozess im Bildungswesen“ einzuleiten. Lesen Sie hier mehr zum Thema.
Bild: PIxabay (Pexels, Pexels Lizenz)
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