Online-Weiterbildung
Präsenz-Weiterbildung
Produkte
Themen
Dashöfer

Deutschland wirtschaftspolitisch besser aufgestellt, aber zentrale Defizite bleiben

08.01.2014  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.

Positive Impulse auf dem Arbeitsmarkt, doch der Investitionsstau bleibt: Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung trifft Prognosen für 2014.

Die Krise im Euroraum dauerhaft überwinden und den milliardenschweren Investitionsstau in Deutschland auflösen - das sind nach einer neuen Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung die wichtigsten wirtschaftspolitischen Herausforderungen im neuen Jahr. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung setze im Bereich der Arbeitsmarktpolitik richtige Akzente, während er in der Finanzpolitik deutlich hinter den Notwendigkeiten zurückleibe, so die Forscher. Auf europäischer Ebene müsse erheblich mehr getan werden. Hier sei ein Kurswechsel erforderlich, der aber im Koalitionsvertrag nicht einmal angedeutet werde. Der wirtschaftspolitische Jahresausblick des IMK erscheint heute als IMK Report Nr. 90 und wird auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.

Das IMK geht in seiner aktuellen Konjunkturprognose zwar davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um durchschnittlich 1,2 Prozent wachsen wird (weitere Kerndaten der Prognose in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Dazu trägt neben dem privaten Konsum im Inland eine moderate Belebung bei den Investitionen bei. Doch ein selbsttragender Aufschwung ist nach Einschätzung der Forscher derzeit nicht in Sicht. Wesentlicher Grund dafür ist die fortgesetzte wirtschaftliche Schwäche bei vielen europäischen Handelspartnern, unter denen der deutsche Export weiterhin leidet.

"Die weitgehend erfolglose überharte Sparpolitik wird derzeit etwas gelockert. Der Euroraum insgesamt findet daher 2014 aus der mehrjährigen Rezession heraus. Aber das reicht längst noch nicht, um die Krise abhaken zu können. Die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Ländern lastet weiter massiv auf Europa", sagt Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. Das Institut hält es für illusorisch, die Krise vor allem durch verstärkte Exporte der Euro-Krisenländer ins außereuropäische Ausland überwinden zu wollen. Die Weltkonjunktur habe sich zwar aufgehellt, sei dazu jedoch nicht stark genug. Vor allem aber sei bei zunehmenden Außenhandelsüberschüssen des gesamten Euroraums mit einer dauerhaften kräftigen Aufwertung des Euro zu rechnen. "Dieser Prozess hat schon eingesetzt", konstatieren die Forscher. So gewann die Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar während der vergangenen 12 Monate real effektiv um 5,3 Prozent an Wert. Das drohe "den Gewinn an Wettbewerbsfähigkeit, den die Krisenländer unter großen Opfern erreicht haben. wieder zunichte zu machen", schreiben die Forscher.

Neue Regierung: Positive Impulse auf dem Arbeitsmarkt...

Um die Erholung zu beschleunigen und zu vertiefen, empfiehlt das IMK daher, in den europäischen Überschussländern die Nachfrage zu stärken. Auf diese Weise würde nicht nur die Konjunktur im jeweiligen Land unterstützt, sondern auch den Krisenländern bessere Chancen im innereuropäischen Handel eröffnet.

Die Binnennachfrage ließe sich sowohl über eine stärkere Lohnentwicklung als auch über höhere öffentliche Investitionen festigen. "Deutschland ist dabei besonders gefragt, auch im ureigenen Interesse", sagt Horn. "Denn wir haben auf beiden Feldern erheblichen Nachholbedarf. Insbesondere die niedriger bezahlten Beschäftigten haben über das vergangene Jahrzehnt real an Einkommen verloren. Und der öffentliche Kapitalstock verfällt zusehends. Seit 2003 waren die Abschreibungen um insgesamt 31 Milliarden Euro höher als die Investitionen. Beide Entwicklungen haben uns Chancen auf Wachstum und Arbeitsplätze gekostet." So zeigen Simulationsrechnungen mit dem Konjunkturmodell des IMK, dass das BIP zwischen 1999 und 2011 um rund sechs Prozentpunkte stärker gestiegen wäre, wenn die Löhne sich kräftiger entwickelt hätten und der Staat seine Investitionen nicht zurückgefahren, sondern stattdessen auf Steuersenkungen verzichtet hätte.

Die Vereinbarungen der Großen Koalition beurteilt das IMK vor diesem Hintergrund differenziert. "Die deutsche Politik ist in wichtigen Punkten weiter als vor einem Jahr. Aber der große Wurf steht aus", sagt Horn. Positiv sehen die Wissenschaftler die geplanten Reformen auf dem Arbeitsmarkt: Mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, dem Vorhaben, Tarifverträge leichter allgemeinverbindlich zu erklären und den geplanten Regulierungsfortschritten bei der Leiharbeit könne "ein wichtiger Beitrag für die Rückkehr zu einer makroökonomisch orientierten Lohnpolitik in Deutschland geleistet" werden, schreiben sie. Die "letzten, wenn auch wenig überzeugenden" Befürchtungen, dass der Mindestlohn Arbeitsplätze kosten könnte, würden durch die vorgesehenen Übergangsfristen ausgeräumt.

...doch der Investitionsstau bleibt

Deutlich kritischer beurteilen die Forscher die zusätzlichen Ausgabenvorhaben der Großen Koalition. Den Großteil der geplanten "prioritären Maßnahmen" halten die Forscher vom Grundsatz her für durchdacht, weil er die Kommunen unterstütze, deren Investitionsschwäche besonders ausgeprägt ist. Mit einem Volumen von 23 Milliarden Euro von 2014 bis 2017 oder 0,2 Prozent des jährlichen BIP seien die jährlichen Mehrausgaben für Infrastruktur, Bildung und Forschung aber viel zu gering, um einen nennenswerten Effekt zu erzielen. "Bei einem ganz zentralen Problem des Landes, nämlich dem in über einem Jahrzehnt aufgelaufenen Investitionsstau, bleibt die zukünftige Regierungskoalition eine Lösung schuldig", warnt das IMK.

Die geplanten Änderungen bei der Rente seien zwar isoliert betrachtet sozialpolitisch sinnvoll, vor allem die Verbesserungen bei Erwerbsminderung. Insgesamt vermisst das IMK bei den Reformen aber eine klare Zielsetzung, durch die falsche rentenpolitische Entscheidungen seit der Jahrtausendwende systematisch korrigiert werden könnten. "Wichtiger wäre es, die übermäßige Absenkung des Rentenniveaus zu korrigieren, beispielsweise, indem man die Rentenabsenkung infolge der sogenannten Riester-Treppe wieder rückgängig macht", schreiben die Forscher.

Schließlich drängen sie auf eine korrekte Finanzierung: Die sogenannte "Mütterrente" sei ebenso wie die solidarische Lebensleistungsrente als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuern zu bezahlen, betont das IMK. "Eine Finanzierung aus Beiträgen wäre hier ordnungspolitisch falsch." Dass die Große Koalition die geplanten Zusatzausgaben erklärtermaßen aus Steuermehreinnahmen und Umschichtungen im Haushalt finanzieren wolle, setze hier allerdings enge Grenzen. Denn schon die Finanzierung der "prioritären Maßnahmen" auf diesem Wege halten die Forscher für zweifelhaft. So weise die aktuelle Steuerschätzung vom November 2013 deutlich geringere Steuereinnahmen für den Bund aus - knapp fünf Milliarden weniger als noch die mittelfristige Finanzplanung vom Sommer.

"Eine solide Finanzierung sieht anders aus", sagt IMK-Direktor Horn. "Es ist bedauerlich, dass die sinnvolle Debatte über gezielte Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und Vermögen vorzeitig abgebrochen wurde. Wir fürchten, dass die neue Regierung mittelfristig in Finanzierungsschwierigkeiten gerät und dann über deutlich problematischere Formen von Steuerhöhungen nachdenken könnte, beispielsweise bei der Mehrwertsteuer. Dies würde die Ungleichheit in Deutschland weiter erhöhen und die Konjunktur behindern." Die Forscher halten es für weitaus sinnvoller, die Erbschaftsteuer und den Spitzensatz der Einkommensteuer zu erhöhen und die Vermögensteuer wieder einzuführen.

Weitere geldpolitische Lockerung empfehlenswert

Ohne die vorgeschlagene finanzpolitische Flankierung in den Überschussländern habe die an sich zielführende expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) längerfristig keine Chance auf Erfolg, warnen die Forscher. Das bedeute aber nicht, dass die EZB nicht noch mehr tun könne und solle. Das IMK rechnet, wie auch die Notenbank selber, damit, dass die Inflationsrate im Euroraum für längere Zeit deutlich hinter dem EZB-Ziel von knapp unter zwei Prozent zurückbleibt. Angesichts von weiterhin sinkenden Löhnen in den Krisenländern und einer sinkenden Kreditvergabe an Unternehmen halten die Forscher eine Disinflation mit folgender Deflation für eine reale Gefahr.

Allerdings solle eine "weitere geldpolitische Lockerung nicht erst dann eingeleitet werden, wenn sich tatsächlich eine Deflation abzeichnet; die aktuelle Lage ist bereits brisant genug." Für Zinssenkungen bestehe zwar nur noch wenig Spielraum. Die EZB habe aber die Möglichkeit, durch gezielte Aufkäufe von Unternehmens- und Staatsanleihen die Finanzierungsbedingungen auf beiden Feldern insbesondere in den Krisenländern zu verbessern.


nach oben
FAQ