22.05.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ernst und Young Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H..
Familienunternehmen in Deutschland haben ernsthafte Nachfolgeprobleme. Von 100 Studenten, deren Eltern ein Familienunternehmen besitzen, wollen 74 nicht in die Fußstapfen der Eltern treten. Nur vier Prozent der befragten deutschen Studenten wollen direkt nach dem Studium die Nachfolge antreten. Wichtige Gründe sind die guten beruflichen Alternativen in Deutschland und die relativ geringe Verbindlichkeit von unternehmerischen Familientraditionen. Eltern können jedoch dazu beitragen, ihrem Nachwuchs die Übernahme des Familienunternehmens schmackhaft zu machen: Zum Beispiel indem sie positives Unternehmertum vorleben.
Das sind Ergebnisse einer Studie des Center for Family Business der Universität St. Gallen, die in Kooperation mit der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young durchgeführt wurde. Befragt wurden über 28.000 Studenten in 26 Ländern, deren Eltern ein Familienunternehmen führen.
Die Sprösslinge deutscher Unternehmerfamilien haben mit einer Karriere im elterlichen Betrieb wenig am Hut: Von den befragten Studenten, deren Eltern ein Familienunternehmen führen, geben nur 26 Prozent an, bereits ernsthaft über eine potentielle Nachfolge nachgedacht zu haben.
Nur vier Prozent der befragten deutschen Studenten haben konkrete Pläne, direkt nach dem Studium den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Mit diesem Wert liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf einem der letzten Plätze: Nur in der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich (jeweils drei Prozent) sowie in Pakistan (ein Prozent) finden sich noch niedrigere Werte. Der internationale Durchschnittswert liegt bei knapp sieben Prozent. Der Anteil derer, die das elterliche Unternehmen direkt nach dem Studium übernehmen wollen, ist in Griechenland (17 Prozent), Russland (16 Prozent) und Rumänien (13 Prozent) am höchsten.
Einen Einstieg in den elterlichen Betrieb innerhalb der ersten fünf Jahre nach Studienabschluss planen in Deutschland 13 Prozent der Befragten – und liegen damit im internationalen Schnitt.
„Die insgesamt sehr geringe Bereitschaft, in den elterlichen Betrieb einzusteigen, ist ein alarmierendes Zeichen für die deutschen Familienunternehmen – zumal in den nächsten Jahren sehr häufig ein Generationswechsel ansteht,“, erklärt Peter Englisch, Partner bei Ernst & Young, und weltweit verantwortlich für die Beratung von Familienunternehmen. „Natürlich gibt es auch geeignete Nachfolger außerhalb der eigenen Familie. Langfristig erfolgreich sind aber vor allem diejenigen Unternehmen, in denen sich mehrere Generationen für die Entwicklung verantwortlich fühlen.“ Eine ungeklärte Nachfolge kann die Leistungsfähigkeit von Unternehmen erheblich beeinträchtigen, so Englisch: „Wird die Nachfolge nicht auf überzeugende Weise geklärt, so drohen den Unternehmen Turbulenzen und im schlimmsten Fall der Verkauf oder sogar die Geschäftsaufgabe. Schnell geraten dann auch die Arbeitsplätze vor Ort in Gefahr.“
Familieninterne Nachfolger wären da häufig die bessere Alternative: Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmerkinder haben im Betrieb der Eltern Berufserfahrung und spezifische Branchenkenntnis gesammelt und dann eine fundierte Ausbildung an den Hochschulen erhalten. Als Unternehmensnachfolger würden sie im Idealfall die Fähigkeit zu professionellem Management mit familiärem Verantwortungsgefühl vereinen. Diese Chance wird verspielt, wenn die potentiellen Nachfolger außerhalb des familieneigenen Betriebs ihr berufliches Glück suchen. „Aufgrund der fehlenden Nachfolger in vielen Familienunternehmen kann mittelfristig auch der deutsche Mittelstand insgesamt in eine Schieflage geraten – mit negativen Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaft“, warnt Englisch.
Anstatt den elterlichen Betrieb zu übernehmen, streben die meisten Unternehmerkinder direkt nach dem Studium eine Karriere als Angestellte an – dieser Wunsch steht bei 76 Prozent der deutschen Befragten ganz oben auf der Wunschliste. Weltweit liegt der Anteil nur bei 65 Prozent.
„Die Unterschiede im internationalen Vergleich sind dabei groß – das liegt vor allem daran, dass die Chancen vor Ort für Studenten stark variieren“, erläutert Prof. Dr. Thomas Zellweger von der Universität St. Gallen. „In Ländern, in denen die breite Bevölkerung noch keinen größeren Wohlstand erreicht hat, ist es häufig der Mangel an beruflichen Alternativen, der junge Menschen an das Familienunternehmen bindet. Wenn sich später bessere Chancen bieten, verlassen sie dann oft das familieneigene Unternehmen.“ So wollen in Argentinien und China direkt nach dem Studium 13 bzw. 11 Prozent das heimische Unternehmen führen, fünf Jahre später sehen sich nur noch 12 bzw. 9 Prozent in dieser Position. „In Deutschland ist die Lage genau umgekehrt: Hier haben Universitätsabsolventen sehr viele berufliche Möglichkeiten“, so Zellweger weiter: „Nachdem sie mehr Berufserfahrung gesammelt haben, kann das Unternehmen der Eltern eventuell zu einem späteren Zeitpunkt wieder attraktiv werden. Insgesamt bleibt das Interesse an einer Nachfolge im Familienunternehmen in Deutschland jedoch sehr gering.“
Ein insgesamt sehr hohes Interesse an einer Nachfolge im elterlichen Unternehmen findet sich zum einen in Ländern mit einer ärmeren Bevölkerung, zum anderen aber auch in den sehr wohlhabenden Nationen Singapur und Luxemburg. Dort haben 17 bzw. 14 Prozent der Absolventen vor, das Unternehmen ihrer Eltern zu übernehmen. „Junge Unternehmer können sich dort ohne ökonomischen Druck frei entfalten, was offenbar die Bereitschaft fördert, das elterliche Unternehmen weiterzuführen“, erläutert Zellweger. Auch ein starker Familien- und Traditionssinn wie in Japan scheint die Neigung der Studenten zu verstärken, ihren beruflichen Weg im Familienunternehmen zu suchen: 22 Prozent der japanischen Befragten wollen innerhalb der ersten fünf Jahre nach Studienabschluss das elterliche Unternehmen übernehmen, das ist nach Liechtenstein mit (30 Prozent) der Höchstwert im internationalen Vergleich. Daran zeigt sich, dass auch das gesellschaftliche Umfeld eine große Rolle spielt. „In hoch individualisierten Ländern – zu denen auch die westlichen Industrienationen gehören – spielt der Familiensinn eine geringere Rolle“, erklärt Zellweger. „Damit sinken das Verantwortungsgefühl für das Unternehmen der Eltern und dementsprechend die Nachfolgeabsichten der Studenten.“
Um die Lage zumindest etwas zu entspannen, sollten laut Peter Englisch insbesondere die Unentschlossenen unter den Unternehmerkindern in den Blick genommen werden: „26 Prozent der deutschen Studenten aus Unternehmerfamilien denken zwar ab und zu darüber nach, wie es wäre, das elterliche Unternehmen zu führen – aktiv werden sie aber nur sehr selten. Wir müssen versuchen, mehr Studenten von potentiellen zu tatsächlichen Nachfolgern in den Familienunternehmen zu machen.“
Mit den potentiellen Nachfolgern in Deutschland wird man es dabei allerdings nicht leicht haben: Eine wirklich intensive Beschäftigung mit einer möglichen Unternehmensnachfolge findet sich hier nur selten – wie auch in anderen westlichen Industrienationen. Auf einer Skala von 0 („ich habe mich nie mit einer Nachfolge beschäftigt“) bis 7 („ich habe bereits die Unternehmensführung übernommen“) liegt Deutschland lediglich bei einem Wert von 0,96 (globaler Durchschnitt: 1,02). Der niedrigste Wert ergibt sich für die Niederlande (0,57), der höchste für Liechtenstein (2,01), Argentinien und Russland (1,54 bzw. 1,53). Dennoch ist Englisch davon überzeugt, dass mehr deutsche Unternehmerkinder von einer Nachfolge im Familienunternehmen überzeugt werden können: „Die Einflussfaktoren auf die beruflichen Entscheidungen der Unternehmerkinder sind überaus vielfältig. Ein Faktor sind die Eltern: Sie unterschätzen womöglich ihren Einfluss auf die Karrierelaufbahn ihrer Töchter und Söhne.“
Schließlich geben immerhin 84 Prozent der deutschen Studenten an, dass ihnen die Meinung ihrer Eltern wichtig ist – im internationalen Vergleich sind es 85 Prozent. Ein ähnlich hoher Prozentsatz (86 Prozent) erwartet, dass die Eltern positiv reagieren würden, wenn die Studenten Absichten zur Unternehmensführung äußern würden. In Deutschland liegt der Anteil bei 80 Prozent.
Dennoch sollten Eltern ihre Kinder nicht zu stark zur Unternehmensnachfolge drängen. „Druck ist eher kontraproduktiv“, so Englisch: „Gerade die sehr selbstbewussten und fähigen Kinder wollen sich zunächst oft in einem externen Umfeld ausprobieren, indem sie beispielsweise ein eigenes Unternehmen gründen.“ Eltern könnten zu einer solchen Selbstfindungsphase wichtige Unterstützung leisten, indem sie bei der Ideenfindung helfen sowie Ressourcen wie Kontakte oder Tipps zur Unternehmensführung zur Verfügung stellen.
Zellweger ergänzt: „Unabhängig davon, wie sich Eltern zum Zeitpunkt des Studienabschlusses ihres Nachwuchses verhalten: Sie dienen langfristig immer als Rollenvorbilder. Das gilt im Positiven wie im Negativen. Erscheint das Leben der Eltern als Unternehmer unattraktiv und von großen Zwängen bestimmt, so werden sich Kinder seltener für eine Nachfolge entscheiden.“
Bei aller Bindung an die eigenen Eltern spielen jedoch auch sehr konkrete Karrieregründe eine Rolle für die Entscheidung der Studenten. „Große und florierende Unternehmen haben wesentlich höhere Chancen auf eine familieninterne Nachfolge“, erklärt Zellweger. „Um das Finanzielle geht es den Unternehmerkindern dabei aber weniger – viel mehr sehen sie hier bessere Chancen, sich selbst zu verwirklichen und ein inspirierendes Umfeld für ihr Unternehmertum zu finden.“