23.08.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Sommerzeit ist Urlaubszeit, weswegen das Urlaubrecht bzw. das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) und damit zusammenhängende Rechtsfragen dieser Tage häufiger Thema im Betrieb sind. Darüber hinaus ist das Urlaubsrecht generell regelmäßiger Begleiter in der Personalpraxis. Von den insoweit vielfältig denkbaren Problemen soll hier dasjenige des Schicksals des Urlaubsanspruchs von langjährig erkrankten Arbeitnehmern herausgegriffen werden. In diesem Zusammenhang hatte sich die Entwicklung zuletzt sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene in immer kürzeren Abständen überschlagen.
Ausgangspunkt war die sogenannte "Schulz-Hoff"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Januar 2009, mit dem die jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts faktisch beseitigt wurde, wonach Urlaubsansprüche auch dann verfielen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres bzw. des gesetzlichen Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt war und deshalb den Urlaub nicht nehmen konnte (vgl. EuGH, Urt. v. 20. Januar 2009 – Rs. C-350/06 Schulz-Hoff, zitiert nach juris). Dieses Ergebnis hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24. März 2009 übernommen und es aus einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung des § 7 Abs. 3 BUrlG hergeleitet. Damit stellte sich die Frage, ob es bei langjährig erkrankten Arbeitnehmern nunmehr zu einer zeitlich unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen kommen würde und diese bei späterer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ohne dass der Arbeitnehmer bis dahin wieder arbeitsfähig geworden wäre, gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten wären.
Zwecks Risikominimierung müssten langjährig erkrankte Arbeitnehmer, die lediglich noch formal dem Betrieb angehörten, dann gegebenenfalls gekündigt werden. Bei der in diesem Zusammenhang notwendigen Interessenabwägung wäre das zuvor genannte Risiko massiver Urlaubsabgeltungsansprüche sicher zu berücksichtigen. Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof jedoch in der "Schulte"-Entscheidung vom 22. November 2011 ausgeführt, dass Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG einer einzelstaatlichen Regelung oder Gepflogenheit nicht entgegenstünde, die die Möglichkeit, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränke, dass ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorgesehen werde, nach dessen Ablauf der Urlaubsanspruch – ungeachtet der Arbeitsunfähigkeit – erlösche (vgl. EuGH, Urt. v. 22. November 2011 – Rs.C-215/10 Schulte, zitiert nach juris).
Weil sich diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nur auf eine tarifvertragliche Verfallfrist von 15 Monaten bezog, war damit aber noch nicht geklärt, ob diese auch anderweitig, z. B. in einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag, vereinbart werden könnte. Vor allem war nicht klar, ob eine entsprechende Frist womöglich auch ohne gesonderte Vereinbarung eingreifen könnte. Mit letzterem befasst sich die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07. August 2012 (a.a.O.).
In dem vom Bundesarbeitsgericht zu beurteilenden Fall ging es um eine Klage einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin, die vom 01. Juli 2001 bis zum 31. März 2009 bei der Beklagten beschäftigt gewesen war. Im Jahr 2004 erkrankte sie, erhielt seit dem 20. Dezember 2004 eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung und wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr für die Beklagte tätig. Nach den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen ruhte das Arbeitsverhältnis während des Bezugs der befristeten Erwerbsminderungsrente; zugleich verminderte sich der Urlaubsanspruch.
Die Klägerin hat sodann die Abgeltung von insgesamt 149 Urlaubstagen für die Jahre 2005 bis 2009 beansprucht. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage bezüglich der Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen stattgegeben und sie im Übrigen hinsichtlich der Abgeltung des tarifvertraglichen Mehrurlaubs abgewiesen. Dagegen hatte die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht größtenteils Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht, dessen Entscheidung bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, entschied auf die Revision der Beklagten zu deren Gunsten, dass der Klägerin ein Urlaubsabgeltungsanspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG nur für die Jahre 2008 und 2009 zustünde. Dagegen seien die in den Jahren 2005 bis 2007 entstandenen, nicht abdingbaren gesetzlichen Urlaubsansprüche trotz des Ruhens des Arbeitsverhältnisses zwar entstanden.
Ihrer Abgeltung stehe jedoch entgegen, dass sie bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG mit Ablauf des 31. März auf das jeweilige Urlausjahr folgenden Jahres verfallen seien. Insoweit habe jeder Arbeitnehmer gemäß § 1 BUrlG auch dann Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, wenn er im gesamten Urlaubsjahr arbeitsunfähig krank sei bzw. eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezöge und das Arbeitsverhältnis aufgrund tariflicher Regelung während dieses Zeitraums ruhe. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG stünde nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Darüber hinaus sei § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, wonach im Falle der Übertragung der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden müsse, unionsrechtskonform so auszulegen, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfalle.
Der EuGH habe in der "Schulte"-Entscheidung vom 22. November 2011 seine Rechtsprechung bezüglich des unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer geändert und den Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht beanstandet.
Soweit überhaupt vorhanden, füllt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts jedwedes Sommerloch im Urlaubsrecht in beeindruckender Art und Weise. Die Annahme einer 15-monatigen Verfallfrist ist zu begrüßen und bringt erhebliche Rechtssicherheit für betroffene Arbeitgeber. Die völlig offene Frage, ob und in welchem Umfang es bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern ohne weiteres zur unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen kommt, wird damit geklärt.
Besonders hervorzuheben ist, dass das Bundesarbeitsgericht, anders als noch der Europäische Gerichtshof, die Geltung der Frist unmittelbar aus § 7 Abs. 3 BUrlG hergeleitet hat und keine gesonderte Vereinbarung voraussetzt. In diese Richtung hatten auch bereits die Urteile der Landesarbeitsgerichte Baden-Württemberg und Hamm gedeutet, die ebenfalls ohne gesonderte Regelung von einem Verfall des Urlaubsanspruchs spätestens 15 bzw. 18 Monate nach dem Urlaubsjahr ausgegangen waren (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 21. Dezember 2011 – 10 Sa 19/11, zitiert nach juris; LAG Hamm, Urt. v. 12. Januar 2012 – 16 Sa 1352/11, zitiert nach juris).
Dass die dogmatische Herleitung der Dauer der Verfallfrist außer als durch die bloße Übernahme des von dem Europäischen Gerichtshof zu beurteilenden Sachverhalts derzeit noch nicht im Detail nachvollziehbar ist, dürfte vor diesem Hintergrund in der Praxis zurücktreten. Dort ist vielmehr von Bedeutung, dass Urlaubsabgeltungsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmer nunmehr bei Vorliegen der Voraussetzungen unter Verweis auf das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts abgelehnt werden können. Darüber hinaus bleibt in jedem Einzelfall zu prüfen, ob z.B. individualvertragliche Abreden der Ansammlung von Urlaubsansprüchen entgegenstehen oder deren Geltendmachung ausschließen. Außerdem sollten jeweils die Einwände der Verjährung oder Verwirkung geprüft werden. Schließlich kommt der präventiven Vertragsgestaltung beim Urlaub unverändert gesteigerte Bedeutung zu. Die Drohkulisse jahrelang angehäufter Urlaubsansprüche hat sich aber jedenfalls, anders als die Außentemperaturen dieser Tage, merklich abgekühlt.