30.04.2013 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Jeder Streik und die einzelnen Streikaktionen stehen nach der ständigen Rechtsprechung des BAG unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die Mittel des Streiks dürfen nicht über das Maß dessen hinausgehen, was zur Erreichung des erstrebten Ziels erforderlich und verhältnismäßig ist. Doch wo liegt die Grenze?
Diese Frage stellt sich insbesondere bei der Aufstellung von Streikposten. Dabei halten sich streikende Arbeitnehmer und/oder Gewerkschaftsmitarbeiter vor den Werks- oder Geschäftseingängen auf, um arbeitswillige Arbeitnehmer sowie Kunden und Zulieferer des bestreikten Unternehmens über die Streikziele zu informieren. Der Versuch, Arbeitnehmer des bestreikten Betriebs, die sich dem Streik nicht angeschlossen haben, zur Teilnahme am Streik zu bewegen und neue, dem bestreikten Betrieb bisher nicht zugehörige Arbeitskräfte von der Aufnahme der Arbeit im bestreikten Betrieb abzuhalten, ist vom Streikrecht umfasst, sofern dieser Versuch mit Mitteln des gütlichen Zuredens und des Appells an die Solidarität erfolgt. Handlungen, die darüber hinausgehen und gar strafrechtlich geschützte Interessen des Arbeitsgebers, der Arbeitnehmer oder Dritter verletzen, werden durch das Streikrecht nicht gerechtfertigt. Unzulässig ist danach auch die Verhinderung des Zu- und Abgangs von Waren und Kunden sowie die Behinderung arbeitswilliger Arbeitnehmer am Betreten des Betriebes durch Maßnahmen, die über bloßes Zureden, sich am Streik zu beteiligen, hinausgehen (BAG, Urt. v. 21.06.1988, 1 AZR 651/86).
Das LAG Hamburg hat sich jüngst mit einem Fall befasst, in dem Streikposten zeitweise den Zugang von arbeitswilligen Arbeitnehmern, Zulieferern und Kunden zu einem bestreikten Betrieb verhindert haben.
Der Entscheidung des LAG Hamburg lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem es im Rahmen des Streiks zu Blockaden der Ein- und Ausfahrten des bestreikten Betriebs durch Streikende kam. Teilweise waren vor den Zugängen Fahrzeuge abgestellt, teilweise wurden Menschenketten gebildet, Streikposten stellten sich arbeitswilligen Arbeitnehmern in den Weg. Dadurch kam es zu erheblichen Verzögerungen beim Zutritt, Lieferanten kehrten wieder um.
Der bestreikte Arbeitgeber hat erstinstanzlich eine einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Hamburg (Beschluss vom 06.11.2012, 26 Ga 10/12) erwirkt, mit der die streikführende Gewerkschaft u. a. verpflichtet wurde, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- EUR zu unterlassen, während der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen u. a. die Eingänge zu den Betriebsgebäuden sowie die Ein- und Ausfahrten zur Verhinderung oder Erschwerung des Zutritts und Ausgangs von Arbeitnehmern, Lieferanten, Kunden, Besuchern und sonstigen zutrittswilligen Personen zu blockieren und zu behindern oder blockieren und behindern zu lassen.
Auf den Widerspruch der streikführenden Gewerkschaft gegen diesen Beschluss hat das Arbeitsgericht Hamburg die einstweilige Verfügung im Wesentlichen aufrecht erhalten (ArbG Hamburg, Urt. v. 14.11.2012 – 26 Ga 10/12). Gegen dieses Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg hat die Gewerkschaft Berufung eingelegt, über die das LAG Hamburg zu entscheiden hatte.
Das LAG Hamburg hat die streikführende Gewerkschaft im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu Euro 250.000,- u. a. zu unterlassen, während der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen die Eingänge zu den Betriebsgebäuden sowie die Ein- und Ausfahrten zur Verhinderung des Zutritts und Ausgangs von Arbeitnehmern, Lieferanten, Kunden und sonstigen zutrittswilligen Personen auf Dauer zu blockieren und/oder im Einzelfall über eine Dauer von 15 Minuten hinausgehend zu behindern oder zu blockieren.
Nach dieser Entscheidung sind Betriebsblockaden im Rahmen eines rechtmäßigen Streiks als Eigentumsverletzung und Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in der Regel rechtswidrig. Die zeitlich unbeschränkte Behinderung (Blockade) greife unverhältnismäßig in das Eigentum und das Recht des Arbeitgebers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein, verletze die Handlungsfreiheit der am Zugang behinderten Personen und schließlich die Kampfparität, weil sie den Arbeitgeber an eigener Reaktion hindere. Sie sei damit insgesamt nicht angemessen.
Unter Würdigung der grundrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Streikziels und unter Berücksichtigung der Rechtspositionen der von der Kampfmaßnahme Betroffenen hat das LAG Hamburg jedoch Zugangsbehinderungen, die im Einzelfall höchstens 15 Minuten dauern, als zulässig bewertet. Zur Begründung hat das LAG Hamburg ausgeführt, einerseits müsse dieses Kampfmittel auch mit zeitlicher Beschränkung noch Druck ausüben können, andererseits müsse den davon Betroffenen noch die Möglichkeit verbleiben, ihre verfassungsrechtlich geschützten Positionen zu verwirklichen, also z. B. in noch hinnehmbarer Zeit als Arbeitswilliger, Lieferant oder Handwerker Zugang zum Betrieb zu finden. Eine 15-minütige Behinderung sei verhältnismäßig. Diese Zeitspanne reiche, um Streikunwillige aufzuhalten und anzusprechen, um Druck auszuüben und nicht nur passiv zu verharren. Sie sei andererseits so geringfügig, dass es zumutbar sei, sich als Arbeitswilliger auf die Verzögerung einzustellen und sie hinzunehmen, auch wenn es zum wiederholten Male passiere und eine innere Meinungsumkehr nicht zu erwarten sei.
Das LAG Hamburg hat zwar erwogen, bei der Festlegung der noch zulässigen Zeitspanne zwischen bereits angesprochenen Arbeitswilligen, erstmals auftretenden Arbeitswilligen, Lieferanten und Handwerkern zu differenzieren. Davon hat es jedoch Abstand genommen, da eine praktische Umsetzung einer solchen Differenzierung vor Ort nicht realistisch sei.
Die Entscheidung des LAG Hamburg hat zwar eine Obergrenze für zeitlich beschränkte Zugangsbehinderungen genannt. Die Entscheidung ist jedoch kritisch zu bewerten, da die pauschale Obergrenze von 15 Minuten pro Tag und zutrittswilliger Person zu lang und damit unverhältnismäßig sein dürfte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass den Streikparteien bei der Abwägung und Beurteilung, ob eine Streikmaßnahme im Einzelfall angemessen ist, keine Einschätzungsprärogative zukommt, da es dabei um eine rechtliche Abwägung geht. Darüber hinaus wirft die Entscheidung des LAG Hamburg eine Reihe von Fragen auf:
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