In der letzten Ausgabe berichteten wir bereits vom Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September, wonach die Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen dessen Wiederverheiratung für unwirksam erklärt wurde. Eine ausführliche Erläuterung und Praxishinweise lesen Sie hier.
Einleitung
Der Kündigungsschutz in Tendenzbetrieben ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Nach der Rechtsprechung besteht der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG grundsätzlich auch in Tendenzbetrieben. Zu den Tendenzbetrieben im Sinn des § 118 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zählen alle Betriebe, die unmittelbar und überwiegend entweder (1) politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder (2) Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) dienen. An das – nach herrschender Meinung auch außerdienstliche – Verhalten dort beschäftigter Mitarbeiter können gesteigerte Anforderungen im Hinblick auf die Loyalität zu dem Betrieb gestellt werden. Oftmals werden die gesteigerten Verhaltenspflichten arbeitsvertraglich festgehalten und so dem Mitarbeiter vor Augen geführt. Verhält der Mitarbeiter sich so, dass er hierdurch die grundsätzliche Zielrichtung des Betriebs in Frage stellt, kann dies ggf. die verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
Bei Beschäftigten der Kirchen sowie Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen gelten gesteigerte Verhaltensanforderungen, insbesondere an das sittliche Verhalten. Diese Anforderungen können im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) von den Kirchen festgelegt werden, sodass diese selbst bestimmen können, ob durch bestimmte Verhaltensweisen ihr Verkündungsauftrag oder ihre Glaubwürdigkeit berührt wird. Sofern der Mitarbeiter seine Lebensführung nicht hieran orientiert, kann er in Konflikt zu diesen Regeln kommen, was die Frage aufwirft, ob und unter welchen Voraussetzungen das mit ihm begründete Arbeitsverhältnis dann verhaltensbedingt gekündigt werden kann.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte die im vorliegenden Fall ausgesprochene Kündigung in seinem Urteil vom 1. Juli 2010, Az.: 5 Sa 996/09, wegen Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie Verwirkung des Kündigungsgrundes für unwirksam erklärt. Bereits zuvor hatte das Arbeitsgericht Düsseldorf die Kündigung mit anderer Begründung für unwirksam erklärt.
Das BAG hat die gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf gerichtete Revision nun zurückgewiesen und die Kündigung ebenfalls für unwirksam erklärt. Zwar könne ein Loyalitätsverstoß die Kündigung eines Mitarbeiters eines Tendenzbetriebs rechtfertigen. Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwögen jedoch die des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
Sachverhalt
Der Kläger ist seit 2000 als Chefarzt für die Beklagte, die mehrere Krankenhäuser betreibt, tätig. Im Arbeitsvertrag haben die Parteien vereinbart, dass dem Arbeitsverhältnis die vom Erzbischof von Köln erlassene Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GO) zugrunde gelegt wird. Dort ist in Art. 4 geregelt, dass von den Mitarbeitern die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet wird. Festgehalten ist in Art. 5 Abs. 2 GO, dass bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Loyalitätspflicht auch eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen in Betracht kommen kann. Ein solcher Verstoß wird angenommen, wenn eine Ehe geschlossen wird, die nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültig ist. Nach dem codex juris canonici ist eine Eheschließung ungültig, soweit noch eine Bindung an eine frühere Ehe besteht und diese nicht kirchenrechtlich annulliert ist.
Der Kläger lebte mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen, nachdem sich seine erste Ehefrau von ihm getrennt hatte. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau heiratete der Kläger im Jahr 2008 seine jetzige Ehefrau standesamtlich. Nach Kenntniserlangung durch die Beklagte kündigte diese das Arbeitsverhältnis ordentlich.
Nach den Feststellungen der Gerichte beschäftigt die Beklagte auch nicht katholische, wiederverheiratete Chefärzte. Auch war ihr das unverheiratete Zusammenleben mit der jetzigen Ehefrau in den Jahren 2006 bis 2008 bekannt.
Entscheidung
Das BAG hat entschieden, dass die Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus zwar die ordentliche Kündigung des mit ihm begründeten Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen hätten das verfassungsmäßige Recht, von ihren Mitarbeitern in Rahmen ihres jeweiligen Selbstverständnisses ein loyales Verhalten einzufordern. Ein Verstoß gegen diese Loyalitätspflicht könne auch darin liegen, dass ein Mitarbeiter eine nach dem katholischen Verständnis ungültige Ehe begründe. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines solchen Mitarbeiters gelte jedoch nicht ausnahmslos. Vielmehr könne die Kündigung wegen eines solchen Loyalitätsverstoßes nur gerechtfertigt sein, wenn auch bei Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall dem Loyalitätsverstoß ein hinreichend schweres Gewicht zukomme. Fehle es hieran, sei die Kündigung im Sinn des § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und unwirksam.
Das BAG hat im Rahmen seiner Entscheidung zwar einen Loyalitätsverstoß des Klägers bejaht, der bei Berücksichtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auch so schwer wiegt, dass er eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Das Gericht ist jedoch im Rahmen der Einzelfallprüfung von einem Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen. Im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung hat es berücksichtigt, dass die Beklagte sowohl in der GO, als auch in der praktischen Handhabung darauf verzichtet habe, durchgehend und ausnahmslos eine Lebensführung nach der katholischen Glaubens- und Sittenlehre einzufordern. Sie habe zum einen auch nichtkatholische, wiederverheiratete Ärzte beschäftigt und zum anderen hingenommen, dass der Kläger in den Jahren 2006 bis 2008 in einer nichtehelichen Gemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau gelebt hat, was nach dem kirchlichen Selbstverständnis aber an sich untersagt ist.
Darüber hinaus hat das BAG berücksichtigt, dass der Kläger weiter zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre steht. Es sei an deren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstandes gescheitert. Überdies sei auch zu berücksichtigen, dass die nun begründete Ehe ebenfalls grundrechtlich geschützt sei.
Das BAG hat damit bestätigt, dass der Kündigungsschutz von Mitarbeitern eines Tendenzbetriebs zwar im Hinblick auf die Bestimmung der kündigungsrelevanten Verhaltenspflichten – insbesondere im Hinblick auf das außerdienstliche Verhalten – eingeschränkt ist. Gleichwohl gilt aber der allgemeine Kündigungsschutz.
Praxishinweis
Das Urteil verdeutlicht, dass in Tendenzbetrieben zwar gesteigerte Anforderungen an das Verhalten der Mitarbeiter gestellt werden können und bei entsprechenden Verstößen auch eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen werden kann. Allerdings muss sich der Arbeitgeber, der ein Arbeitsverhältnis infolge eines solchen Verstoßes kündigen möchte, einheitlich verhalten und den allgemeinen Kündigungsschutz beachten, bspw. das Erfordernis einer vorhergehenden Abmahnung. Er muss daher die Einhaltung der Loyalitätspflichten einheitlich gegenüber seinen Mitarbeitern einfordern und darf nicht unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Zudem muss er bei der Feststellung von Verstößen gegen Loyalitätspflichten zeitnah handeln und darf diese nicht über einen längeren Zeitraum hinnehmen. Durch eine solche Duldung kann das ggf. besehende Kündigungsrecht verwirkt werden.
Arbeitgebern ist zu empfehlen, die Loyalitätspflichten arbeitsvertraglich festzulegen und somit eine Grundlage für eine später ggf. erforderliche Kündigung zu legen, auch wenn die Herleitung als vertragliche Nebenpflicht möglich ist.
Mit diesem Urteil hat das BAG somit seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften eine hohe Bedeutung zukommt, gleichwohl aber die allgemeinen Grundsätze des Kündigungsschutzrechts zu beachten sind. Dabei haben die Gerichte insbesondere zu prüfen, ob die Kirche sich an die von ihr selbst aufgestellten Grundsätze und Vorgaben hält, insbesondere dann, wenn sie für das eigentliche Kündigungsverfahren besondere Regeln - bspw. eine Verfahrensordnung - vorsieht. Weiter ist entscheidend, ob die Kirche im Einzelfall verhältnismäßig handelt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Mitarbeiter bewusst und konfrontativ gegen die ihn treffende Loyalitätspflicht verstößt oder er an sich zwar loyal handeln will, hieran aber letztlich scheitert.
Quelle: Guido Motz, Taylor Wessing Düsseldorf