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Anspruch auf Home-Office für schwerbehinderte Arbeitnehmer

21.06.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: PersonalGate.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hannover (Urteil vom 06.12.2010, 12 Sa 860/10) zur Frage, ob der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer Tele- und Heimarbeit ermöglichen muss

Einleitung

Das Gesetz weist dem Arbeitgeber eine aktive Rolle für die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in das Arbeitsleben zu. Ihn trifft die Pflicht, schwerbehinderte Arbeitnehmer entsprechend ihrer Fähigkeiten zu fördern. Er muss sie so beschäftigen, dass sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber sogar zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX). Die Förderungspflicht des Arbeitgebers ist nur insoweit begrenzt, als sie nicht zu einem unverhältnismäßigen Aufwand für den Arbeitgeber führen darf oder ihm sogar unzumutbar ist.

Das Landesarbeitsgericht Hannover hat sich in seiner Entscheidung umfassend mit der Förderungspflicht des Arbeitgebers auseinandergesetzt. Entscheidend war hierbei die Frage, ob sich die Förderungspflicht auch darauf erstreckt, schwerbehinderten Arbeitnehmern Tele- und Heimarbeit zu ermöglichen.

Sachverhalt

Der Kläger besitzt aufgrund einer Querschnittslähmung, die aus einem Wegeunfall resultiert, einen anerkannten Grad der Behinderung von 100. Seit 1970 ist er bei der Beklagten als Sachbearbeiter beschäftigt. Aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers schlossen die Parteien im Jahr 2003 eine Vereinbarung, nach der der Kläger an jedem zweiten Kalendertag, soweit dies ein Arbeitstag ist, seine Aufgaben zu Hause erledigen darf. Die entsprechende Vereinbarung wurde im Folgenden insgesamt fünfmal verlängert. Im Jahr 2009 weigerte sich die Beklagte die Vereinbarung über die alternierende Heimarbeit nochmals zu verlängern. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf seinem Heimarbeitsplatz war aus Sicht der Beklagten unzumutbar. Der Kläger würde seine Arbeitsleistung an seinem häuslichen Arbeitsplatz nicht vollständig und ordnungsgemäß erbringen. Mit Schreiben vom 06.10.2009 forderte die Beklagte den Kläger daher auf, künftig seine Arbeitszeit von Montag bis Freitag vollständig im Betrieb der Beklagten zu erbringen. Der Kläger verlangt, seine Arbeitsleistung weiterhin an zwei nicht aufeinanderfolgenden Arbeitstagen in seiner Wohnung erbringen zu dürfen.

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Hannover bejahte einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Heimarbeit und verurteilte die Beklagte, den Kläger an zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen zu Hause zu beschäftigen. Die Förderungspflicht des Arbeitgebers erstrecke sich in der Regel darauf, schwerbehinderten Arbeitnehmern Tele- und Heimarbeit zu ermöglichen.

Zwar werde die Frage, an welchem konkreten Ort die Arbeitsleistung von dem schwerbehinderten Mitarbeiter zu erbringen sei, vom Gesetz nicht explizit geregelt. Ein Anspruch des Arbeitnehmers ergebe sich aber aus der Förderungspflicht des Arbeitgebers (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX). Das Gesetz weise dem Arbeitgeber eine aktive Rolle für die Eingliederung und gegen die Ausgliederung schwerbehinderter Beschäftigter zu. Könne der schwerbehinderte Arbeitnehmer behinderungsbedingt nur von zu Hause aus arbeiten, ermögliche ihm diese Art der Arbeit den Erhalt seines vollzeitigen Arbeitsplatzes und damit seine vom SGB IX angestrebte vollwertige Teilhabe am Arbeitsleben.

Der Arbeitgeber sei nur dann nicht zur Heimarbeit des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden sei (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Grundsätzlich gehe das Gesetz aber von der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber aus. Auch der Beklagten sei die Heimarbeit des Klägers zumutbar gewesen. Unverhältnismäßige finanzielle Aufwendungen habe sie nicht befürchten müssen, da der Telearbeitsplatz bereits vollständig eingerichtet gewesen sei.

Praxishinweis

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hannover befasst sich mit einem in der Arbeitspraxis häufig vorkommenden Sachverhalt. Viele schwerbehinderte Menschen möchten ihrer Arbeit weiterhin in Vollzeit nachgehen können. Aus Gründen ihrer Behinderung ist dies aber nur dann möglich, wenn sie zumindest teilweise von zu Hause aus arbeiten können.

Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hannover besteht in der Regel ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf Tele- und Heimarbeit. Der Arbeitgeber ist nur dann nicht zur Heimarbeit des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist. Wann die Grenze der Zumutbarkeit erreicht ist, muss im Einzelfall bestimmt werden. Der Arbeitgeber muss hierbei substantiiert darlegen und beweisen, warum ihm die Erbringung der Arbeitsleistung des schwerbehinderten Arbeitnehmers vom Wohnort aus nicht zumutbar ist.

In den meisten Fällen bietet es sich daher an, mit dem schwerbehinderten Arbeitnehmer eine einvernehmliche Regelung zur Tele- und Heimarbeit zu finden. Sofern wie im vorliegenden Fall die Vermutung besteht, dass der Arbeitnehmer während seiner Heimarbeitstage die Arbeitsleistung nicht vollständig oder ordnungsgemäß erbringt, sollte Abhilfe zunächst in milderen Maßnahmen als der Entziehung des Tele- und Heimarbeitsplatzes gesucht werden. Sinnvoll ist zum Beispiel die Anordnung einer erweiterten Berichts- und Dokumentationspflicht des Arbeitnehmers.

Quelle: Ruth Neumann (Taylor Wessing München)
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