17.10.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
In ständiger Rechtsprechung geht das Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG vom 10.12.2009 –
Eine Ausnahme von diesem Kündigungsrecht ist allerdings für die Fälle anerkannt, in denen eine ehrverletzende Äußerung über Vorgesetzte und / oder Kollegen in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen erfolgt. Der Arbeitnehmer darf in solchen Fällen regelmäßig darauf vertrauen, dass seine Äußerungen nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden bzw. das Vertrauensverhältnis der Arbeitsvertragsparteien nicht gestört bzw. zerstört wird.
Aufgrund seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz) ist ein Arbeitnehmer nicht gehalten, von seinem Arbeitgeber und seinen Kollegen "nur positiv zu denken" und sich innerhalb seiner Privatsphäre ausschließlich positiv über sie zu äußern. Jedoch kann der Arbeitnehmer diesen Schutz nicht für sich in Anspruch nehmen, wenn er diese geschützte Vertraulichkeit der Äußerung aufhebt und Dritten Gelegenheit gibt, seine Äußerungen wahrzunehmen.
Der Arbeitnehmer war seit 1980 bei dem Arbeitgeber beschäftigt. Er hatte ein persönliches Profil bei der "Facebook" angelegt. Dieses Profil wies am 06.12.2011 (Kündigungszeitpunkt) insgesamt 70 sogenannte "Freunde" auf, 36 hiervon waren zum damaligen Zeitpunkt Mitarbeiter der Beklagten. Der ebenfalls als Freund angegebene M war ursprünglich auch bei der Beklagten beschäftigt, aber bereits vor dem 20.11.2011 wieder ausgeschieden. Unmittelbarer Vorgesetzter des Arbeitnehmers war der Mitarbeiter G der Beklagten, der nicht zu den aufgeführten Facebook-Freunden des Arbeitnehmers gehörte.
Am 20.11.2011 "postete" der Arbeitnehmer auf seiner sogenannten "Pinnwand" im Facebook-Profil:
"hi M (...) Habe mich über diesen scheiss G geärgert, hat mir zwei abmahnungen gegeben innerhalb von drei monaten wegen rauigkeit. Diesen kleinen scheisshaufen mache ich kaputt, werde mich beschweren über diesen wixxer bin 32 jahre hier dabei und so ein faules schwein der noch nie gearbeitet hat in seinem scheissleben gibt mir zwei abmahnungen, da hat er sich im falschen verguckt diese drecksau (...)"
Nach einigen weiteren "Posts" schrieb der Arbeitnehmer am 26.11.2011:
"hi, moin moin M (...) sonst ist alles beim alten, der G hat wahrscheinlich einen draufbekommen wegen mir die personalabteilung hat ihn angerufen, weil ich mich angeblich über ihn beschwert haben soll. War noch garnicht da bei der personalabteilung, aber egal schadet ihm garnichts, soll er mal ein bisschen von seinem hohen ross runterkommen der doofmann. (...)".
Aufgrund der entsprechenden Voreinstellungen des Profils hatten alle "Facebook-Freunde" des Arbeitnehmers (einschließlich der als "Freunde" angegebenen Mitarbeiter des Arbeitgebers) sowie – je nach bestimmten Voreinstellungen – wiederum auch deren "Freunde" Zugriff auf die Pinnwand des Arbeitnehmers und wurden dementsprechend über dessen Kommunikation mit M informiert.
Nachdem der Arbeitgeber durch eine Zeugin Kenntnis von den Äußerungen erlangte, kündigte er das Arbeitsverhältnis am 06.12.2011 fristlos zum 07.12.2011, hilfsweise fristgerecht.
Das Arbeitsgericht Hagen gab der Klage nur insoweit statt, als die außerordentlich fristlose Kündigung angegriffen worden war. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31.07.2012 hielt es für wirksam.
Für eine außerordentliche Kündigung gemäß
Diese Kraftausdrücke und Schmähungen seien kaum noch steigerungsfähig und für den Vorgesetzten G äußerst ehrverletzend. Auch seien die beleidigenden Äußerungen nicht vertraulich "unter vier Augen" gegenüber dem angesprochenen M erfolgt, sondern quasi betriebsöffentlich durch Posting an seine Pinnwand, die vergleichbar einem "Schwarzen Brett" im Betrieb mindestens 36 betriebsangehörigen Facebook-Freunden des Arbeitnehmers und auch deren Freunden zugänglich war. Auf eine Vertraulichkeit der Äußerung könne sich der Arbeitnehmer daher nicht berufen, da der Arbeitnehmer – aufgrund der Voreinstellungen seines Facebook-Profils – diese Vertraulichkeit aufgehoben und seine Äußerung damit faktisch "betriebsöffentlich" gemacht habe. Es sei deshalb unerheblich, dass der Arbeitnehmer seine ehrverletzenden Äußerungen von zu Hause aus und nicht während der Arbeitszeit getätigt habe.
Jedoch sei die außerordentlich fristlose Kündigung aus Gründen der Interessenabwägung und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unangemessen und damit unwirksam. Zugunsten des Arbeitnehmers sei sein Lebensalter, seine Betriebszugehörigkeit von 31,5 Jahren sowie die Tatsache zu berücksichtigen, dass nicht erkennbar sei, dass er über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge.
Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei jedoch aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt. Auch unter Beachtung der genannten Umstände sei der dem Arbeitnehmer zu Last gelegte erhebliche Verstoß gegen seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (
Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts wurde Berufung eingelegt.
Wie die besprochene Entscheidung und auch eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH München, vom 29.02.2012 -
Der VGH München hatte in dem o.g. Beschluss entschieden, dass es keinen "besonderen Fall", d.h. keinen wichtigen Grund, für eine Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin i.S.d. § 9 Abs. 3 Mutterschutzgesetz darstelle, wenn diese auf Ihrem Facebook-Profil über den von ihr betreuten Kunden des Arbeitgebers (Mobilfunkanbieter) "postet":
"Boah kotzen die mich an bei (dem Mobilfunkanbieter), da sperren sie einfach das Handy, obwohl man schon bezahlt hat (...) Solche Penner (...) Naja ab nächsten Monat habe ich einen neuen Anbieter..."
Die Ausführungen der Arbeitnehmerin seien erkennbar auf das Verhalten des Mobilfunkanbieters im Zusammenhang mit der Abwicklung ihres privaten Mobilfunkvertrages gerichtet, sollten nicht aber das gesamte Mobilfunk-Unternehmen diffamieren. Deshalb seien die Äußerungen noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt und stellten keine Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar ("Unter der Geltung des Grundgesetzes entscheidet allein die Arbeitnehmerin, was sie "ankotzt" und was nicht.")
Angesichts der genannten Entscheidungen ist im Einzelfall stets genau zu prüfen, in welchem Rahmen und welchen Zusammenhang eine (vermeintlich) beleidigende Äußerung bei Facebook & Co. stattfindet. Ist diese für eine breite Öffentlichkeit (alle Internet-/ Facebook-Nutzer) oder eine größere Anzahl anderer Arbeitnehmer oder gar den Arbeitgeber selbst zugänglich, ist davon auszugehen, dass ein (außerordentliches) Kündigungsrecht des Arbeitgebers trotz des grundgesetzlichen Schutzes der Meinungsfreiheit besteht. In einem solchen Fall kann sich der Arbeitnehmer auf Vertraulichkeit nicht berufen. Zu prüfen ist zudem, ob die Beleidigung einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat, d.h. der Arbeitgeber, dessen Mitarbeiter oder Kunden in ihrer Eigenschaft als solcher angegriffen wird oder – wie in dem dem VGH München zugrundeliegenden Fall – ein solcher Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt.